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„Saw“ von Ceal Floyer in „In Between“, der neuen Ausstellung in der Villa Schöningen Potsdam.

© Courtesy Ceal Floyer und Esther Schipper

Wer sägt sich da durchs Parkett?: Die Villa Schöningen spielt mit Erwartungen

Das Potsdamer Kunsthaus steht vor einem Neubeginn. „In Between“ zelebriert das, indem die Schau nicht die Kunst, sondern das Gebäude ins Zentrum rückt.

Wie sähe skulpturgewordene Zeit aus? Vielleicht so wie Karin Sanders „Glass Piece 95“. In einer großen Schlaufe hängt die Skulptur vom Eingangstresen der Villa Schöningen. Ein Gebilde, das weich wirkt, wie eine zähe Flüssigkeit, die sich den Weg zu Boden bahnt. Ein Objekt im freien Fall. Nur: Es ist nicht weich. Es ist nicht in Bewegung. Es ist Bewegung im Stillstand. Es wird den Boden nie berühren.

Dass das „Glass Piece“ den Türsteher der aktuellen Ausstellung gibt: kein Zufall. „In Between“ heißt die von Sonia González kuratierte Schau. Auch in ihr soll es um einen Zwischenzustand gehen, irgendwo auf halbem Wege zwischen Nicht-mehr-Da und Noch-nicht-Da. Es handelt sich dabei unverhohlen um eine Selbstbeschreibung des Hauses: Seitdem Sonia González 2020 als Leiterin der Villa Schöningen angetreten ist, befindet sie sich im Übergang.

Corona bremste aus, aber der Plan blieb. González will das Kunsthaus neu aufstellen. Will einen eigenen Zugriff auch auf die Sammlung des Mannes, dem die Villa gehört: Mathias Döpfner, Multimillionär und Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Konzerns.

Die radikalste Schau seit der Eröffnung 2009?

2023 soll es richtig losgehen mit der Neuausrichtung, 2022 stand im Zeichen der Vorbereitung, des Anlaufnehmens. Schon „Blanc de Blancs“ im Frühjahr untersuchte einen Nullpunkt: die Farbe Weiß. „Sammeln“ im Sommer sah sich wie eine Meditation über dieses Phänomen, um das es im Kunsthaus ging und weiter gehen wird: Hier waren neben Zuckerstückchen, Videokassetten, Schallplatten und Manga-Comics auch einige Spitzweg-Gemälde aus der Sammlung Döpfner zu besichtigen.

Hüfthoch gehängt. Ein „place to be“ von Annabell Häfner in der aktuellen Ausstellung in der Villa Schöningen Potsdam.
Hüfthoch gehängt. Ein „place to be“ von Annabell Häfner in der aktuellen Ausstellung in der Villa Schöningen Potsdam.

© Andreas Klaer

Künftig sollen Döpfner-Werke eine zentrale Rolle spielen, aber „Inbetween“ schert nochmal aus: Es ist die erste von Sonia González am Haus kuratierte Schau, in der kein Werk aus Döpfners Sammlung zu sehen ist. Sie kostet erstmals keinen Eintritt, „ein Versuch“, wie González sagt. Und visuell ist die Schau bei aller Zurücknahme die radikalste nicht nur in diesem Jahr, sondern womöglich seitdem die Villa 2009 als Kunsthaus wiedereröffnete. „Inbetween“ ist im Grunde nur in zweiter Linie eine Kunstausstellung. Im Mittelpunkt steht nicht, was an den Wänden zu sehen ist, sondern die Wände selbst. „Inbetween“ tastet Architektur ab, mithilfe von Kunst.

Auf Persius’ Spuren

1843 entwarf Ludwig Persius die Villa für Kurd Wolfgang von Schöning, den Hofmarschall des Prinzen Carl von Preußen. Sie sollte ein schlichtes Schifferhaus ersetzen, das zuvor dort gestanden hatte. Italienischer Villenstil, mit Sichtachsen zu den Schlössern Glienicke und Babelsberg. Kuratorin González begibt sich schon mit dem Zugang auf Persius’ Spuren: Man betritt die Villa diesmal nicht durch den als Haupteingang genutzten Eingang von der Seeseite her, sondern durch ein vergleichsweise kleines Türchen an der Seite. Wie zu Persius’ Zeiten.

Blick auf die Villa Schöningen in unmittelbarer Nähe der Glienicker Brücke in Potsdam.
Blick auf die Villa Schöningen in unmittelbarer Nähe der Glienicker Brücke in Potsdam.

© Patrick Pleul (Archiv)

Eine architektonische Zeichnung von 1845 zeigt, wie es damals gemeint war. Erst 1920 wurde der jetzige Eingang zum See der Haupteingang. Als Gegengewicht zur historischen Akribie füllt González den Raum mit einer raumgreifenden Soundinstallation: „Klavierwellen“ von Marcellvs L., aufgenommen über den Resonanzboden eines umgedrehten Klavierflügels, den der Berliner Künstler 2010 in einem Boot über die Lagunen von Venedig schippern ließ. Dumpfe Klänge, ohrenbetäubend. Eine Reminiszenz an die Schiffbauerwerkstatt, die sich einst hier befand.

Als sei ein Kind durch eine leergeräumte Wohnung gefegt

In den oberen Geschossen übernimmt der spielerische Gestus. Auf den ersten Blick wirken die Räume leer. Wenn an den Wänden überhaupt etwas hängt, dann vorzugsweise auf Kniehöhe oder weit oben, außer Reichweite. Vor allem die „Red Drawings“ von Isabella Fürnkäs. Ein medusenhafter Kopf findet sich im Treppenhaus, dort wo die Namen der bisher hier Ausgestellten aufgelistet sind. Billy Childish, Neo Rauch, Trulee Hall. Auch diese absurd wirkende Hängung ist von der Architektur her gedacht: Ein Stockwerk höher steht an gleicher Stelle, den Blick majestätisch zum See gewendet, die Büste des Prinzen von Preußen.

Ganz ernst ist das Meiste hier nicht gemeint, manches sieht sich, als sei ein Kind in leergeräumter Wohnung kurz vor dem Ausziehen nochmal durch die bekannten Räume gefegt und habe hier und da etwas liegenlassen. Von Umzug oder Wegzug zeugen auch Marius Glauers Skulpturen „La Buse“ von 2021: eingerollte Farbprints, wie zum Transport vorbereitet, eingefasst in Röhren aus Plexiglas. Was darauf zu sehen ist, ist nicht zu sehen.

Mit dem Reiz des Unsichtbaren, mit der Ahnung des Kommenden spielt auch Ceal Floyer in „Saw“. Da scheint sich durch den schicken Parkettboden eine meterhohe Säge zu bohren. Ein Kreidekreis deutet die Schnittlinie an. Auch wenn man weiß, dass das Monster, das diese Säge führt, im eigenen Kopf sitzt: Den wegbrechenden Boden meint man schon zu spüren.

Bis 15. Januar 2023 in der Villa Schöningen, Potsdam

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