Kultur: Wer schweigt, macht sich schuldig
Bewegende Gedenkfeier mit Lesungen zum 13. August 1961 am Griebnitzsee
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Nur noch ganz ein kleiner Rest der ehemals das Leben bestimmenden Mauer steht am Griebnitzsee: sechs hochkantige, eigentlich harmlos wirkende Elemente sind es, die an heute kaum noch vorstellbares Leid gemahnen. Blumen hingen am Mittwoch daran, ein Kreuz war davor aufgestellt.
Als Zeichen der Solidarität flatterte eine Tibetfahne an dem sechs Meter langen Mauerstück. Ungefähr 100 Menschen, hatten sich auf Einladung des „Forums zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg“ eingefunden, gedachten all jener, deren Leben durch die Mauer nachhaltig geprägt wurde. Bob Bahra moderierte lässig die zugleich lockere und ernsthafte Veranstaltung. Schauspieler des Hans-Otto-Theaters, von T-Werk und Theaterschiff, Autoren, Künstler und Pfarrer präsentierten ein weites Spektrum der damaligen Erfahrungen.
Günter Grass und Wolfdietrich Schnurre richteten im August 1961 Schriftstellerverband der DDR den verzweifelten Satz: „Wer schweigt, macht sich schuldig“. Ungeachtet aller Proteste organisierte die Kulturabteilung der SED-Bezirksleitung in Berlin am 18. August 1961 einen Operativplan zur kulturellen Betreuung der Kampftruppen, der unter anderem ein Wunschkonzert des DFF unter dem Motto „Jetzt schlägt“s 13“ vorsah. Das hört sich ungemein grotesk und kaum glaubwürdig an, war aber zynische Tatsache der Geschichte. Der „antifaschistische Schutzwall“ zerstörte auch Liebesbeziehungen, die vorher zwischen Ost- und Westberlin noch möglich waren. Beispiele dafür lasen Gabriele Schnell und Rita Feldmeier.
Klaus Büstrin erinnerte an den langsamen Tod von Herbert Mende, der nachts, nachdem er schon überprüft worden war und nur zur Bushaltestelle wollte, angeschossen wurde und vier Jahre später 29jährig an den Folgen starb. Seine Verletzung sei „ein Unfall“ gewesen, so das entsprechende Protokoll. Auch die Perspektive eines Grenzsoldaten im Werra-Tal wurde präsentiert und seine innere Entscheidung, dass er im Ernstfall „Fünf Meter daneben“ schießen würde. Auch in seinen Erinnerungen, von Franka Schwuchow gelesen, konnte Frank Junhänel nicht „ja“ schreiben. Auf die Frage, ob er im Ernstfall auch von der Schusswaffe Gebrauch machen würde, habe er „das von mir erwartete Wort“ gesagt. Gerade Memoiren benötigen wohl Euphemismen. Dass es aber Möglichkeiten gab, sich solch einem Auftrag zu widersetzten, betonte DDR-Forscher Bernd Eisenfeld.
Autorin Lonny Neumann erinnerte sich in einem poetischen Text an einen Kommilitonen am Leipziger Literaturinstitut, der verhaftet wurde und nach dem sich keiner der anderen erkundigte. Wie die „Auch wir waren eingeschlossen“, resümierte der Westberliner Künstler Stefan Roloff sein damaliges Lebensgefühl. Als er einen Wachtturm aus Pappe in Windeseile auf die Westberliner Seite stellte, war die Aufregung auf beiden Seiten groß. Seine Fotodokumentation, die er von diesem Kunstprojekt gemacht hat, habe lange Zeit niemanden interessiert, wunderte er sich.
Auch Humoristisches gab es: Hans-Jochen Röhrig las die „Gavroche-Passage“ aus Florian Havemanns umstrittenem Buch, das die Geschichte des „Mauerspringers“ erzählt. Zwei Mal gelang es dem jungen Mann, über die so gut bewachte Grenze am Glienicker Schloss mithilfe einer Teppichstange zu springen. Nach seinem ersten Abenteuer prahlte er damit schweijkisch dergestalt, dass er nur durch seinen Onkel, einem ZK-Mitglied, von der Haft verschont wurde. Doch die DDR enttäuschte ihn so, dass er den gleichen Fluchtweg wieder nutzte, um endgültig der DDR den Rücken zu kehren. So mischten sich wehmütige Gedanken, Wut und auch Heiteres in der gelassenen Rückschau auf eine sehr angespannte Zeit.
Lore Bardens
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