zum Hauptinhalt

Kultur: Wie ein Vogel

Ella Milch-Sheriff liest heute in Druckerei Rüss

Stand:

„Bei der Vocalise im Spätherbst des vergangenen Jahres wurde Ella Milch-Sheriffs Fantasie nach dem Hohelied Salomos „Schwarz bin ich “ im Nikolaisaal mit großem Erfolg aufgeführt. Es ist ein Werk voller Virtuosität. Artistik triumphiert in der Musik. Seit ihrer Kindheit ist sie vom Zirkus und seinen Artisten begeistert. In ihrem Buch „Ein Lied für meinen Vater“ (Aufbau Verlag), das gemeinsam mit der deutschen Journalistin Ingeborg Prior entstand, schreibt sie darüber. Ella Milch-Sheriff wollte auch so leicht und frei sein, wie ihre Freundin, die Artistin Liora. Wie ein Vogel. Die Sehnsucht danach drückte sich auch im Musizieren, im Komponieren aus. Seit dem achten Lebensjahr. Dabei musste sie oftmals auf unbeschwerte Tage in Haifa verzichten. Das bedrückende Elternhaus mit dem sehr strengen jüdischen Vater Baruch Milch, einem Gynäkologen, hatte etwas Zerstörerisches für die 1954 geborene Ella. Aber als sie das verschollen geglaubte Tagebuch ihres Vaters entdeckte und es mit großer Bewegtheit las, da hatte die Suche nach seinem Geheimnis ein Ende. Baruch Milch und seine Frau waren Überlebende des Holocaust. Sie, die aus Ostgalizien stammten, konnten der Ermordung auf abenteuerliche Weise entkommen. In Israel baute sich der Arzt Ende der vierziger Jahre ein neues Leben auf. Er und seine Frau weigerten sich aber, mit Ella und der Schwester Shosh über das Erlebte zu sprechen. Die gefundenen Aufzeichnungen offenbaren aber, welches Leid, vor allem der Vater in der Zeit des Holocaust ertragen musste.

Als Kind und junges Mädchen habe sie sich ungeliebt gefühlt und keinen Weg zu den Herzen ihrer Eltern gefunden, schreibt Ella Milch-Sheriff. „Deswegen bin ich meinem Vater dankbar, dass er alles aufgeschrieben hat, auch wenn mich jeder Satz, jedes Wort, jedes noch so kleine Detail so traf, wie mich seine Schläge getroffen haben, wenn ich seine Regeln verletzte. Ich lernte zu begreifen, warum er zu dem Vater geworden war, den ich kannte.“ Und so konnte sie ihrem Buch den Titel „Ein Liebeslied für meinen Vater“ geben.

In den Jahren 2002/03 schrieb die in Israel lebende Komponistin die Kantate „Ist der Himmel leer?“ In ihrem Buch erinnert sie sich an die ersten Gedanken nach der Konzertaufführung: „Ich hatte etwas gegen das Vergessen getan. Und ich hatte mich damit endgültig von meinen Ängsten befreit. Einen Moment lang fühlte ich mich frei und schwerelos – und plötzlich fiel mir die Seiltänzerin meiner Kindheit ein.“ Heute um 20 Uhr ist Ella Milch-Sheriff in der Druckerei Rüss, Ulanenweg, mit Lesung und Gespräch zu Gast. Klaus Büstrin

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })