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Kultur: „Wir haben noch so viel vor“ Lesung von Ingrid

und Manfred Stolpe

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Für die Ballsaion 2010 hat sie bereits einen korallenfarbenen Traum mit Schleppe im Schrank, um ihn alsbald auszuführen. Ingrid Stolpe kann wieder planen: eine Flusskreuzfahrt auf dem Dnjepr und natürlich die Goldene Hochzeit mit Ehemann Manfred im kommenden Jahr. Ein Ziel zu haben, sei wichtig, gerade für Krebskranke. Das kennt die Ärztin von ihren Tumorpatienten, die sie behandelte, und jetzt auch von sich selbst. Vielleicht gerade deshalb konnten sie und ihr Mann dem Krebs Einhalt gebieten.

In ihrem Buch „Wir haben noch so viel vor“, erzählen Ingrid und Manfred Stolpe von ihrem gemeinsamen Kampf gegen die bösen Zellen. Wie in einer Talkrunde bei Sandra Meischberger im vergangenen Jahr, nach der sie ein so großes Interesse an dieses gern verdrängte Thema spürten. Doch das Buch, das beide Freitag um 19 Uhr in der Stadt- und Landesbibliothek vorstellen (in der Moderation von Jörg Hildebrandt, Ehemann der verstorbenen Regine Hildebrandt), ist mehr als ein Genesungsbericht: Es ist das Doppelporträt zweier Menschen, die sich mit ihrer Liebe, aber auch all’ ihren Gegensätzlichkeiten sehr offenherzig präsentieren, ja selbst die Tür zum Schlafzimmer einen Spalt öffnen. Doch es ist nichts Voyeueristisches an dieser gemeinsam mit Silke Amthor aufgeschriebenen Familiengeschichte, die ihre Bögen auch in Politik und Gesellschaft schlägt. Die Diagnosen und Berichte über die schwer zu ertragenden Krebsbehandlungen werden dabei eingestreut wie das Salz in der Wunde. Und doch hängt alles zusammen. „Ich will für mich nicht ausschließen, dass die Dauerbelastung und eine ständige Anspannung durch den aufreibenden Job mit hineinspielten“, schreibt Manfred Stolpe über seine Krankheit, wobei er die Stasi-Vorwürfe, die ihn und seine Frau nach der Wende völlig aus dem Gleichgewicht warfen, nicht ausdrücklich als möglichen Grund seines Tumors benennt. Doch man liest es zwischen den Zeilen, wenn er über den Krebs von Regine Hildebrandt, seiner einstigen politischen Seelenverwandten, notiert: „Sie war zutiefst davon überzeugt, dass die ungerechten teilweise bösen Angriffe auf ihre Person, Ursache ihres Krebsleidens waren.“ Er selbst fühlte sich durch die IM-Verdächtigungen an eine Hexenjagd erinnert, die seine Frau und ihn stark belasteten. „Das Stasi-Thema war morgens beim Aufwachen präsent, und abends nahm ich es mit ins Bett.“

Fünf Jahre hielt Manfred Stolpe seine Krankheit geheim, nur Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier weihte er ein. Gerhard Schröder nahm er nicht mit ins Boot der Verschwiegenen. Stolpe steckte damals gerade als Minister mitten im Ringen um das Mautsystem und war mit Rücktrittsforderungen der Opposition konfrontiert, als ihn die Hiobsbotschaft des Darmkrebses ereilte. Er blieb so verschwiegen wie einst bei seiner heimlichen Hochzeit und später bei den Verhandlungen mit der Staatssicherheit, um als Kirchenvertreter zu helfen, politisch Inhaftierte frei zu bekommen. Dass er damals Bischof Gottfried Forck nicht mit eingeweiht habe, belaste ihn heute sehr, so Stolpe. „Ich wollte nicht, dass dieser geradlinige Mann unbedingt in das ,Kanalarbeitermilieu’, in dem ich mich bewegte, eintauchen sollte.“ Vielleicht hätte er selbst mehr als drohender denn als werbender Gesprächspartner auftreten sollen, räumt Stolpe heute ein. Aber der Kirchenjurist glaubte an die Diplomatie, gerade nach der brutalen Niederschlagung des 17. Juni 1953 und des Prager Frühlings 1968. Und er würde heute alles wieder so machen, trotz des „Fluches der Konspiration“. Für ihn sei immer nur entscheidend gewesen, dass er sich niemals auf persönliche Vorteile durch die Stasi einlassen durfte.

Ingrid Stolpe, die nie an der Aufrichtigkeit ihres Mannes zweifelte, fuhr nach den IM-Anwürfen ins Kirchenamt der EKD, da sie der Meinung war, dass die dortigen Gespräche von der Stasi abgehört worden waren. Was sich bestätigte. Nur wusste niemand, wo diese Anlage hingekommen sei. „Ich hätte mich damals nicht abwimmeln lassen, sondern notfalls auf eigene Kosten das Ganze weiterverfolgen sollen.“ Sie überlegte damals ernsthaft, einfach gegen einen Baum zu fahren. Es wäre nicht ihr erster Suizidversuch gewesen.

Es ist spannend, beide Sichten zu vergleichen, sei es zur Erziehung, zum Stehen im Rampenlicht oder zu Träumen aus Stoff. Mitunter gibt es allerdings überflüssige Wiederholungen und ein Hin-und Herstolpern durch die Zeit. Heidi Jäger

Ingrid und Manfred Stolpe: „Wir haben noch so viel vor.“

Unser gemeinsamer Kampf gegen den Krebs

224 Seiten, 19,95 Euro

Ullstein Verlag Berlin

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