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Schreiben gegen das Schweigen. Journalistin und Autorin Anja Manz.

© J. Bergmann

Kultur: Wir machen es uns schön

Anja Manz übers Kindsein im Schatten des Krieges

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Wenn sie Zeit habe, sagt Anja Manz, werde sie vielleicht Buchteln backen und zur Lesung mitbringen. Damit die Zuhörer sehen und schmecken, was es mit diesen Hefeteilchen auf sich hat, die ihre Großmutter immer buk und die im neuen Buch von Anja Manz eine zentrale Rolle spielen.

Mit Essen, sagt Manz, wurde dem Trauma der Familie begegnet. Mit Buchteln, Brombeermilch und dem Spruch „Wir machen es uns schön“ sollten die Schatten der Vergangenheit, des Krieges, besänftigt werden. So hat es Anja Manz, geboren 1962, erlebt. Jetzt hat sie ein Buch über die Jugend eines Mädchens geschrieben, über eine Familie, die auch Züge ihrer eigenen trägt. „Wahrheit oder Wagnis“ erschien im vergangenen Herbst bei Edition Contra-Bass. Am Montag liest die Potsdamer Hörfunkjournalistin Anja Manz daraus im Literaturladen Wist vor.

Aufgewachsen ist Manz in Südhessen. Ihre Eltern gehören zur Generation der sogenannten Kriegskinder, die als Kind Hunger und Bomben, Flucht und Vertreibung, kaputte Familien, Todesängste und Vergewaltigungen erlebten. Wer das überlebte, konzentrierte sich danach auf den Wiederaufbau. Gesprochen wurde kaum über das, was man durchgemacht hatte. „Da gibt es auch keine Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland“, sagt Manz. „Ich bin froh, dass es daran jetzt wissenschaftliches Interesse gibt. Literarisch passiert hier aber gerade überhaupt nichts.“

Auch deshalb hat Anja Manz das Buch geschrieben. Einen Roman aus der Perspektive der jugendlichen Ich-Erzählerin. Einen Sommer lang geht es um das erste Verliebtsein, das die Gefühlswelt von Nelly, der Erzählerin, durcheinanderwirbelt. Wobei sie sehr allein ist. Denn der Vater ist ständig beruflich unterwegs, die Mutter psychisch krank und zurückgezogen, in ständiger Trauer um den verschollenen Bruder. Und die ewig kochende und backende Großmutter, Nellys wichtigste Bezugsperson, ist mit ihren eigenen Affären beschäftigt. Als Nelly entdeckt, dass die Oma ihre geliebten Buchteln auch für ihren Liebhaber backt, ist sie zutiefst getroffen. Die Charaktere der Eltern, sagt Manz, sind eine Fusion von verschiedenen Eltern ihres Freundeskreises, der fast ausschließlich aus Kindern der nach dem Krieg zugezogenen Flüchtlingsfamilien bestand. „Und alle Eltern waren irgendwie sonderbar. Heute würde man sagen, dass sie Neurosen entwickelt hatten“, sagt Manz. „Ein Vater versteckte immer Essen in der Wohnung, eine Mutter hatte im Garten einen Atombunker, in dem die Familie regelmäßig Probewohnen musste, eine andere verließ bei Schnee nie das Haus, weil sie auf der Flucht im Winter auf die Leichen unter dem Schnee getreten war.“

Im Roman beginnt Nelly, diese Macken stärker zu reflektieren. Aber aus der Rolle der Tochter, die ihre Mutter glücklich machen will, findet sie nur schwer heraus. So begibt sie sich zunächst auf die Suche nach dem verschollenen Bruder der Mutter. Und entscheidet sich zuletzt, der Mutter gegenüber die unangenehme Wahrheit endlich auszusprechen: „Gerhard ist tot.“

Mit dem Schreiben begann Manz, als ihre beiden Söhne klein waren. „Ich schob sie im Kinderwagen durch die Stadt, sobald sie eingeschlafen waren, ging ich ins nächste Café und schrieb“, sagt Manz. Zwei Mal war sie Stipendiatin im Künstlerhaus Wiepersdorf. Mit dem Buch hat sie ihre eigene Geschichte verarbeitet, möchte aber auch die Leser zum Nachdenken anstupsen. „Wir müssen viel mehr Fragen stellen“, sagt Manz. Wer Versöhnung will, muss zunächst verstehen und vor allem zuhören. Sie wünscht sich, dass auch alte Menschen die Gelegenheit bekommen, noch eine Psychotherapie zu machen. „Im Alter kommt einfach vieles wieder hoch.“ Steffi Pyanoe

„Wahrheit oder Wagnis“ von Anja Manz, erschienen in Edition Contra-Bass, kostet 16,90 Euro. Die Lesung im Literaturladen Wist, Dortustraße 17, findet am Montag, dem 15. Februar, um 19 Uhr statt.

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