zum Hauptinhalt

Kultur: „Wir sollten ihn bemitleiden“

Der Autor Uwe Wilhlem, dessen „Fritz!“ am Donnerstag im Hans Otto Theater uraufgeführt wird, über Selbstdemontage, Selbstvermarktung und posttraumatische Belastungsstörungen bei Friedrich II.

Stand:

Herr Wilhelm, mit „Ein Theaterspiel für den König von Preußen“ ist Ihr Schauspiel „Fritz!“ unterschrieben. Warum ausgerechnet ein Theaterspiel für Friedrich II.?

Zum einen schwingt da Ironie mit, indem der Titel auf die kulturellen Fackelzüge deutet, die zu Friedrichs 300. Geburtstag durch Berlin und Brandenburg ziehen, zum anderen hängt es mit dem Theaterstück selbst zusammen, es gibt ein Stück im Stück. Friedrich lässt eine Oper schreiben, in der er sich selbst demontiert.

„Fritz!“ spielt im Mai 1786, drei Monate vor dem Tod des Preußenkönigs. Friedrich II. ist alt und krank, sitzt in seinem Schloss Sanssouci und wir erleben das typische Intrigenspiel am Hof.

Ja, der König ist noch nicht tot, aber die Nachfolger bringen sich schon in Stellung.

Hier nun gerät Henri de Catt, der frühere Hofschreiber und „Vorleser“ des Königs, zwischen die Fronten.

Henri de Catt ist in „Fritz!“ die gegenwärtigste Figur. Ursprünglich war er der „Vorleser“, hier ist er nun ein Autor, der eine Oper schreiben soll. Dadurch gerät er zwischen die Fronten von Friedrich dem Großen und seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm II. Henri de Catt könnte auch ein Journalist sein, wie Sie, oder ein Autor wie ich.

Was hat es mit dieser Oper auf sich, an der Henri de Catt gerade arbeitet?

Friedrich befürchtet, dass anlässlich seines 75. Geburtstages, den er freilich nicht mehr erlebt, eine Jubelfeier stattfinden wird. Das will er nicht zulassen und versucht, seine „Vermarktung“ zu kontrollieren. Also erinnert er sich in seinem hohen Alter und erzählt, welche Torturen er in seinem Leben erleiden musste.

Also ist „Fritz!“ auch ein Rückblick auf die wichtigsten Stationen im Leben von Friedrich?

Friedrich erzählt aus seiner Kindheit, von seinem Verhältnis zu seinem sadistischen, brutalen Vater, von der Zeit in Rheinsberg, die durchaus homoerotisch war, vor allem von den Demütigungen und Erniedrigungen, die ihn zu dem Misanthrop und Zyniker gemacht haben, als den wir ihn kennen.

Die Zeit in Rheinsberg, Kronprinz Friedrich ist Anfang 20, bezeichnen Sie als durchaus homoerotisch und sprechen damit ein noch immer heikles Thema an: Friedrich II. und die Sexualität. In diesem Zusammenhang kann es eine gewisse pikante Note bekommen, wenn Rita Feldmeier in der Rolle vom Alten Fritz am Donnerstag bei der Premiere zu erleben sein wird. Warum ausgerechnet eine Frau?

Das ist eine Entscheidung des Theaters, aber eine, mit der ich nicht unglücklich bin. Das Wenige, das ich bisher von den Proben gesehen habe, hat mir etwas Interessantes gezeigt: Die Besetzung Friedrichs mit einer Frau verhindert die Idealisierung und Heroisierung der Figur. Man schaut einen Augenblick hin und vergisst, dass Rita Feldmeier Friedrich spielt. Und dennoch bewirkt diese Travestie, dass ich immer wieder einen Schritt zurück mache, dass ich mich nicht identifizieren kann, gar einer Idealisierung verfalle.

Es heißt, das Schauspiel „Fritz!“ ist ein „provokanter Kontrapunkt zu den Lobpreisungen über Friedrich den Großen anlässlich dessen 300. Geburtstags“. Vermissen Sie bisher eine entsprechend kritische Auseinandersetzung?

Friedrich wird bis heute idealisiert. Das erleben wir zum Beispiel, wenn wir die zahlreichen Biografien lesen. Und das empfinde ich als einen unsäglichen und unglaublichen Vorgang.

Grund genug für Sie, ein Theaterstück über Friedrich zu schreiben?

Ja, begonnen hat es als ein Auftrag für das Fernsehen. Es sollte ein Zweiteiler werden, der leider nicht zustande kam. Aber mich hatte durch die Arbeit die Figur Friedrichs derart gepackt, weit über das bekannte Schulwissen, von den Geschichten über seinen Freund Katte und den aufgeklärten Fürsten hinaus, dass ich einfach weitermachen musste. Wenn man dann tiefer einsteigt und beispielsweise liest, was seine Schwester Wilhelmine schreibt, erlaubt das doch einen anderen Blick auf den König.

Haben Sie sich bei Ihren Recherchen vor allem an Originale gehalten?

Ich bin bei den Originalquellen geblieben, soweit es geht. Auch bei Friedrichs eigenen Schriften, in denen er sich freilich selbst heroisiert. Und was ich dann natürlich gemacht habe, und das ist notwendig für ein solches Theaterstück, ich habe die Fakten genommen und darüber hinaus eine Geschichte erfunden, die es so nicht gab. Henri de Catt spielte zu der Zeit, als Friedrich 74 Jahre alt war, keine Rolle mehr. Und Friedrich Wilhelm II. hat vermutlich auch nicht in diesem Maße intrigiert, wie es in „Fritz!“ zu erleben ist. Das heißt, was ich erzähle ist nicht unbedingt wahr, aber wahrscheinlich.

Und wie sehen Sie Friedrich II. heute?

Im Rahmen meiner Recherchen bin ich zu der Ansicht gekommen, dass er so etwas wie eine posttraumatische Belastungsstörung hatte. Das kennen wir heute vor allem von Soldaten, die aus Afghanistan zurückkommen. Menschen, die ein schweres Trauma erlitten haben, die zusehen mussten, wie Kameraden, wie Zivilisten starben und mit diesen Bildern in der zivilen Welt nicht mehr klarkommen. Friedrich, der in seiner Kindheit äußersten Brutalitäten ausgesetzt war, von seinem Vater zweimal beinahe umgebracht wurde, musste diese traumatischen Erfahrungen verarbeiten. Friedrich hatte in dieser Hinsicht ein besonderes Schicksal.

Und dieses besondere Schicksal hat dazu geführte, dass Friedrich ein „dunkler, traumatisierter und zynischer Berserker“ wurde, wie es in der Ankündigung für „Fritz!“ heißt?

Ja, und das sind Dinge, die mich als Autoren interessiert haben, weil ich natürlich jenseits der historischen, der objektiven Fakten die subjektiven, die Seele eines Menschen suche.

300 Jahre Friedrich, ist das überhaupt ein Grund zu feiern?

Wir können heute einen Goethe oder einen Beethoven feiern, aber nicht einen König, der den falschen Beinamen der Große trägt. Denn die Frage lautet doch, welche Größe wir überhaupt bei Friedrich feiern? Den dilettierenden Musiker? Den fleißigen und ebenso bemühten Dichter? Den Hobby-Philosophen? Oder feiern wir einen König, der drei Kriege geführt hat und im Siebenjährigen Krieg 400 000 Tote hinterlassen hat? Ich bin der Meinung, wir sollten Friedrich weniger heroisieren, sondern eher bemitleiden.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Premiere von „Fritz! Ein Theaterspiel für den König von Preußen“ am Donnerstag, dem 12. Januar, 19.30 Uhr im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 98 118

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })