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Kultur: „Wir waren Getriebene“

Morgen stellt Götz Aly sein umstrittenes Buch über die 68er-Bewegung in Potsdam vor

Stand:

Herr Aly, in Ihrem aktuellen Buch unterstellen Sie der 68er-Bewegung eine formale Ähnlichkeit mit dem Nationalsozialismus. Gehen Sie da nicht etwas zu hart ins Gericht mit Ihren ehemaligen Mitstreitern?

Nein. Der Vergleich bezieht sich auf die Mobilisierungstechniken des Nationalsozialistischen deutschen Studentenbundes in der Zeit von 1926 bis 1933 und der 68er-Bewegung. Diese Parallelität hatten viele unserer damaligen Kritiker wie Richard Löwenthal, Max Horkheimer oder Hannah Arendt schon nach wenigen Monaten erkannt. Ich gehe der Frage nach, woher diese Parallelen kommen. Dass diese Parallelen bestehen, ist nicht verwunderlich. Denn generationsgeschichtlich sind die 68er die Kinder der jungen Aktivisten von 1933. Und es ist doch nur wahrscheinlich, dass sich etwas von dem alten Gift, wenn auch in stark verdünnter Form, bei den Kindern wiederfindet. Auch wenn es sich in anderer Form, beispielsweise in maoistischen oder etwas später in DKP/SED-nahen Ideen, etwa im Marxistischen Studentenbund Spartakus, zeigte.

Wer Parallelen zum Nationalsozialismus zieht, muss sich sehr schnell den Vorwurf der Relativierung gefallen lassen.

Wenn ich als NS-Historiker sage, man müsse die NS-Vergangenheit der Deutschen Bank oder der Juristen untersuchen, ist der Beifall gewiss. Wenn ich aber sage, wir sollten die Kontinuitäten analysieren, die zwischen zwei deutschen Studentenbewegungen bestehen, dann reagieren viele meiner ehemaligen Kampfgenossen äußerst pikiert – nicht besser als wenn ich den Verband deutscher Schäferhundefreunde auffordern würde, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Vielleicht liegt das auch an dem provokanten Titel Ihres Buches „1968. Unser Kampf“. Man kann schnell dazu neigen, an Adolf Hitlers „Mein Kampf“ zu denken.

Der Begriff „Kampf“ ist Zentralbegriff der totalitären Bewegungen im 20. Jahrhundert. Der Titel „Unser Kampf“ deutet auf den Zusammenhang von 1968 und dem Nationalsozialismus und ist provokant. Aber „Kampf“ war eben auch der Zentralbegriff der 68er. Schauen Sie sich die Flugblattsammlungen von damals an: Kampf, Kampf, Kampf. Ich habe 1971 die Zeitung „Hochschulkampf“ mitherausgegeben.

Sie gelten mittlerweile als Nestbeschmutzer bei Ihren ehemaligen Mitstreitern.

Ach, da gibt es jede Menge Beschimpfungen: „Selbsthasser“, „Denunziant“ oder „Verräter“. Solche Vorwürfe bestätigen meine Thesen, der gesinnungsstarke Bierernst meiner Ex-Genossen zeigt, dass mit den 68ern etwas nicht stimmte.

Hat die 68er-Bewegung denn nicht den Stellenwert, der ihr immer wieder zugesprochen wird?

Es gibt keine besonderen Verdienste der 68er. Sie waren nur Teil einer großen Veränderungskrise in der alten Bundesrepublik gewesen. Die wesentlichen Veränderungen fanden statt, indem die Westdeutschen 1969 mehrheitlich den Emigranten Willy Brandt zum Bundeskanzler wählten. Die großen Veränderungen fanden in der FDP statt, die bis in die frühen 60er Jahre hinein ein Auffangbecken für Altnazis war und deren Vorsitzender Erich Mende noch immer mit dem Ritterkreuz rumstolzierte, das ihm Hitler verliehen hatte. In der FDP veranstalteten Leute wie Genscher und Scheel die Palastrevolution. Die Reform des Strafrechts, die Herabsetzung des Wahlalters, der Ausbau der Universitäten, die Bundestagsdebatten um Wiedergutmachung und Verfolgung von NS-Verbrechen, mit all dem hatten die 68er nichts zu tun.

Obwohl immer wieder behauptet wird, erst durch die 68er-Bewegung seien notwendige Reformen angestoßen worden?

Das ist eine Einbildung. Wer die damals verständlicherweise noch ungefestigten demokratischen Institutionen bekämpfte, und das haben die 68er getan, hat keine Verdienste.

Sie gehen in Ihren Behauptungen sogar so weit, dass die 68er die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und deren Verbrechen nicht nur nicht angestoßen, sondern sogar verhindert haben sollen.

Die NS-Aufklärung begann schon 1958. In den Jahren 1967 und 68 fanden die meisten Prozesse gegen Naziverbrecher in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt statt. Aber das spielte in der Wahrnehmung der Studenten von 1968 keine Rolle. Wir waren die erste Generation, die nach dem Krieg in den Abgrund Auschwitz blickte, und wir haben uns abgewandt.

Warum haben Sie sich abgewandt?

Die Botschaft der NS-Prozesse war, dass die dort angeklagten Mörder vorher und nachher nicht kriminell und in ihrem sonstigen Leben einigermaßen rechtschaffen waren. Sie hätten der Vater, der Lehrer oder irgend ein anderes Vorbild sein können. Das war für die jungen Leute unerträglich, und deshalb sind wir geistig aus dem Väterland geflohen. Das ist erklärlich, man kann das verstehen. Heldenhaft war es nicht.

Aber diese Flucht erklärt nicht Ihren Vorwurf, die Aufarbeitung der NS-Verbrechen sei durch die 68er behindert worden.

Wir haben den Nationalsozialismus zum Faschismus und so zu einem internationalen und aktuellen Phänomen verdünnt. Ein ähnliches Verfahren wandte die DDR an. Plötzlich wohnten die Faschisten nicht mehr nebenan oder waren Teil der eigenen Familien, sondern sie saßen in Washington. Plötzlich waren nicht mehr die Deutschen Völkermörder, sondern die Regierung der USA, General Franco oder gar die israelische Armee. Das hatte nichts mit Aufklärung, aber viel mit aktiver Verdrängung der jüngsten deutschen Nationalgeschichte zu tun.

War die 68er-Bewegung also ein Irrweg?

Nein. Wir 68er waren Getriebene und in einem Generationenkonflikt groß geworden, den wir uns nicht ausgesucht hatten und den wir nicht lösen konnten. Der ist über die Jahre von der gesamten deutschen Gesellschaft bearbeitet worden.

In Ihrem Buch beschreiben Sie ein Episode, dass sie damals 1000 Mark annahmen, um diese auszugeben und vier Woche später zurückzugeben, obwohl sie wussten, dass dieses Geld aus einem Banküberfall der RAF stammte und Sie so Geldwäsche betreiben würden.

Mit der Geschichte illustriere ich, wie selbstverständlich das damals war, wohin die irrwitzigen Einbildung führte, dass man den angeblich „faschistoiden“ Staat Bundesrepublik bekämpfen müsse.

Warum fällt es den meisten Beteiligten so schwer, sich von diesem Idealbild der 68er-Bewegung zu lösen?

Sie verteidigen ihre Biografien. Es ist schwer einzusehen, dass man eine Zeit lang falschen Idealen hinterher rannte.

Es ist natürlich einfach im Rückblick zu sagen, was falsch und was richtig war.

Genau der Frage gehe ich in meinem Buch unter anderem nach: Was konnten wir damals zum Beispiel über die Massenmorde des von Rudi Dutschke, von mir und von vielen meiner damaligen Mitstreitern verehrten Mao Tse-tung wissen? Meine Recherchen führen zu der ernüchternden Antwort: Alles! Es gab damals viele warnende Stimmen. Doch wir wollten nicht hören.

Wann hat bei Ihnen der Prozess der selbstkritischen Distanzierung begonnen?

Relativ schnell. Da ich für West-Verhältnisse früh Vater wurde und infolge erster Berufserfahrung bin ich von 1974 an schrittweise wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt. Aber das war kein Einzelphänomen, das ging vielen so.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Götz Aly stellt morgen, 20 Uhr, sein Buch „Unser Kampf. 1968 – Ein irritierter Blick zurück“ in der Waschhaus Arena, Schiffbauergasse., vor. Der Eintritt kostet 8, ermäßigt 6 Euro.

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