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Kultur: Wo der Schmerz beginnt
Der britische Dramatiker Dennis Kelly hat sich einer verzwickten Sache verschrieben: der Wahrheit Im Hans Otto Theater kommt am heutigen Freitag sein Stück „Die Opferung von Gorge Mastromas“ zur Premiere
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Wollte man Dennis Kelly 2009 nach der sehr erfolgreichen Uraufführung seines Stückes „Waisen“ sprechen, traf man ihn auf einem Highway in den USA an. Telefonisch. Am anderen Ende eine aufgeräumte Stimme, ein höflich sprudelnder Redefluss, unterbrochen ab und an von der Suche des Autors nach einem geeigneten Parkplatz. Drei-, viermal setzen wir neu an. Streifen das englische Klassensystem, den Selbsthass der Working Class, die Notwendigkeit von Gewalt im Theater. Zwischendurch muss Dennis Kelly tanken. Andere würden parken, egal wo, oder würden so ein Gespräch zwischen den Orten gar nicht erst annehmen. Dennis Kelly schien das Ganze Spaß zu machen. Fahren, reden, fahren. Ideal für einen, der sich nicht festlegen lassen will. Kein Ankommen. Kein Ausruhen. Kein Abschluss.
Ob Dennis Kelly damals auch selbst am Steuer saß, lässt sich nicht sagen. Es ist nicht zu hoffen. Er ist ein eruptiver Gesprächspartner, einer, der auch mal nach Worten sucht, jemand, den man sich groß gestikulierend vorstellt. In den konservativen britischen Medien müssen Interviews mit ihm mit vielen Sternchen versehen werden, denn sie lassen im Druck keine Schimpfworte zu. Dabei hat das Schimpfen bei Dennis Kelly mit Unhöflichkeit nichts zu tun, sondern mit Leidenschaft. Und mit Ehrlichkeit. Viele Briten reden im Privaten so, nur vermeiden es die meisten in der Öffentlichkeit. Der Dramatiker Dennis Kelly hat diese Vorsicht nicht. Seine Figuren haben auch nicht die Gabe dazu. Sie verstellen sich oft, aber sie lügen schlecht.
Dennis Kelly, Jahrgang 1968, aufgewachsen in einem Sozialbau in Nord-London, ist heute einer der gefragtesten Autoren Europas. Er war kein Shootingstar, der mit Anfang 20 bereits Preise abräumte. Erst mit über 30 fing er mit dem Stückeschreiben an. Inzwischen wird er hierzulande fast mehr gespielt als in England – sein aktuelles Stück „Die Opferung von Gorge Mastromas“ wurde 2012 zuerst in deutscher Übersetzung aufgeführt und kommt am heutigen Freitag im Hans Otto Theater zur Premiere. In England feiert man ihn auch als Drehbuchautor, etwa für die Sitcom „Pulling“ oder die Scifi-Serie „Utopia“. Für seinen ersten Musical-Versuch am West End („Matilda“) erhielt er 2011 zahlreiche Preise.
Dennis Kelly ist ein uneitler Autor. Einer, der seine Figuren sagen lässt, was gesagt werden muss. Mit Pausen, dem Alltag abgelauschten Redundanzen und bissigem Humor, ohne sprachverliebte Eskapaden. Und ohne Ironie, meistens. Kellys Sprache ist unverschnörkelt, direkt, die Dialoge oft schussgenau. Versteckspiele gehen nicht zusammen mit dem, was ihn auch als Autor umtreibt. Größtmögliche Aufrichtigkeit. Die Suche nach Wahrheit, dieser „verzwickten Sache“, wie Dennis Kelly sie in einer Rede beim Berliner Theatertreffen im letzten Jahr nannte. „Sie sieht sich selbst manchmal gar nicht ähnlich und versteckt sich sehr gern“, sagte er damals. „Ich glaube, dass niemand weiß, ob er gerade die Wahrheit sagt (...) Aber jeder kann versuchen, sich der Wahrheit zu nähern.“
Die Wahrheiten, denen sich der Dramatiker Dennis Kelly versucht zu nähern, sind düster. In seinen Stücken wimmelt es von Egoisten, Trinkern und Sadisten. Es geht um Kindsmord („Kindersorgen“, 2007), um Alkoholismus und Armut („Schutt“, 2003), um den Terror, den die Angst vor Terrorismus produziert („Osama der Held“, 2005), um die atomare Apokalypse („Nach dem Ende“, 2005). Dennis Kelly ist ein furchtloser Autor. Das fehlt vielen jungen Autoren heute, sagt er, „eine gesunde Portion ‚Leck mich‘“. Viele dächten nur an ihre Karrieren, an Kontakte und Marktkompatibilität. Er selbst hat keine Scheu vor großen Themen, er greift in seinen Stücken auf, was ihn umtreibt. Nicht das, was greifbar ist oder genehm, sondern was er nicht versteht. Dort, wo der Schmerz anfängt. „Osama der Held“ etwa ist aus der Wut über den blind geführten angloamerikanischen „War on Terror“ entstanden. „Es war so, als hätte sich das Theater das Thema kurz angeguckt, dann gedacht ‚Scheiße, das ist ne Nummer zu groß’.“ Für Dennis Kelly war es keine Nummer zu groß. Oder wenn, dann schrieb er gerade deswegen darüber. Was beim Schreiben herauskommt, muss nicht perfekt sein. Es muss wahr sein.
In „Osama der Held“ ist ein Jugendlicher so unklug, zu sagen, dass er daran denke, Terrorist zu werden. Dazu kommt es nicht. Er wird gefoltert, präventiv sozusagen, für etwas, das er nicht getan hat. Am Schluss sagt ein fünfzehnjähriges Mädchen, das Zeugin der Gewalt war: „Ich dachte immer, irgendwo gäbe es Erwachsene. Jemand, der das Sagen hat. Der den Laden schmeißt, der weiß, was das Beste ist. Jetzt weiß ich, dass es keine Erwachsenen gibt. Nur uns.“ Ob dieses „Wir“ Bedrohung oder Hoffnung ist, ist nicht zu unterscheiden. Oft geht es bei Dennis Kelly zusammen.
Das eigentlich Beunruhigende, aber auch das Erfreuliche an den Stücken von Dennis Kelly: Seine Egoisten, Trinker und Sadisten sind nie nur das. Sie sind auch Liebende, Leidende, Verängstigte. Sie sind beschädigt, und deshalb richten sie Schaden an. So einfach, so kompliziert. Mit Liam aus „Waisen“, im Juni 2012 von Stefan Otteni in Potsdam inszeniert, ist das so. Liam ist der Bruder von Helen, beide sind die titelgebenden Waisen. Liam hat einen Mann halb totgeschlagen, hat seine Schwester deswegen angelogen, und wird, als es herauskommt, deren Mann dazu bringen, sein Opfer grausam zu foltern. Wahr ist aber auch: Liam ist Helen völlig ergeben, hat Angst, dass sie geht, er hat nur sie. Oder David. David aus „Liebe und Geld“ (uraufgeführt 2006) gesteht seinem One-Night-Stand Sandrine, dass er eines Tages seine Frau sterbend zu Hause vorfand. Dass er dann, anstatt einen Krankenwagen zu rufen, auf ihren Tod wartete. Und dass er, als der Tod nicht eintrat, mit Wodka nachhalf. Auch wahr ist: David ist von Schulden erdrückt und von seiner ergebnislosen Suche nach einträglicheren Tätigkeiten erniedrigt.
Und nun Gorge. Gorge ist der Protagonist von „Die Opferung von Gorge Mastromas“, das als zweites Stück von Dennis Kelly in Potsdam Premiere feiern wird (Regie Elias Perrig). Gorge schert ein bisschen aus. Denn er hat keine Entschuldigung für sein Tun, oder zumindest keine gute. Als sich ihm die Frage stellt, Güte oder Feigheit, trifft er die moralisch falsche Entscheidung, weil es die richtige für seine Karriere ist. Er hat als Kind erfahren, wie es ist, auf der anderen, der Verliererseite zu stehen, und wählt als Erwachsener den Erfolg. Der ist zu leicht zu haben, als dass man da nicht zugreifen müsste. Man muss nur lügen, und zwar ohne Skrupel. Bis über die Schmerzgrenze.
Während „Waisen“ vom Aufbau her an einen Krimi erinnert, hat „Gorge Mastromas“ Züge eines Western. Die hier beschriebene Welt ist der schwarz-weiße wilde Westen des Kapitalismus, allerdings ohne den guten Sheriff, der alles richten wird. Gorge wäre in diesem Bild der Bandit mit der Knarre in der Hand. Einer, der alle abknallen wird, die ihm im Weg stehen. Seine Prärie ist die Businesswelt. Nur reitet er am Ende nicht davon. Dennis Kelly lässt ihn beinahe genüsslich vor die Hunde gehen. Nicht heroisch, nicht großformatig, sondern klanglos und kläglich. Die rituelle Schlachtung, die im englischen Originaltitel „The Ritual Slaughter of Gorge Mastromas“ angekündigt wird, findet nicht auf der Bühne statt. Sondern im Kopf des gealterten Finanzhais Gorge. Und in unserem.
Was hatte er noch gesagt, unterwegs auf dem amerikanischen Highway? „Ich bin eigentlich ein ziemlich optimistischer Autor. Am Ende besteht bei mir immer ein bisschen Hoffnung.“ Aber auch die ist in der verzwickten Welt von Dennis Kelly eben nicht ohne Verluste zu haben.
Premiere (ausverkauft) von „Die Opferung von Gorge Mastromas“ am heutigen Freitag, 19.30 Uhr, in der Reithalle in der Schiffbauergasse. Wieder am 22. und 30. November
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