Potsdamer Künstlerhaus: Wohin ihn seine Füße trugen
Kheder Abdulkarim, Flüchtling aus Syrien, ist Maler und der erste Artist in Residence im Künstlerhaus Scholle. Seine Bilder erzählen von Krieg und Gefangenschaft – und der Kraft der Füße.
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Hinschauen ist nicht so einfach. Es geht fast gar nicht, die Augen rutschen weg von den Bildern, halten das Sehen nicht lange aus. Aber nicht hinschauen geht auch nicht. Es ist wie beim Fernsehen, wenn man weiß, gleich kommt eine schlimme Szene. Hier aber zeigt jemand die Realität, keinen Spielfilm. Von dem, was Kheder Abdulkarim erlebt und gesehen hat, gibt es keine Filme oder Fotos. Aber sichtbar werden sollte es. Musste es. Und so malt der 1967 in Syrien geborene Maler immer wieder Menschen in Situationen der Unterdrückung. Gefangen. Gefesselt. Ausgeliefert. Verwundbar. Gefoltert. „Meine Bilder sind hier schon besser, freundlicher geworden“, sagt Kheder Abdulkarim an diesem Frühsommertag in seinem Potsdamer Atelier. Und man mag sich nicht vorstellen, wie die Bilder aus der Zeit davor ausgesehen haben mögen.
Der Maler steht vor den Bildern und sagt nicht viel. Wegen der fremden Sprache. Und weil es noch immer aufregend und neu für ihn ist, dass er hier, im Exil, als Künstler wahrgenommen wird. Dass er malen kann und gesehen wird. Seit Herbst vergangenen Jahres hat er sogar ein eigenes Atelier im Künstlerhaus Scholle. Ein kleines Zimmer, aber sein ganz eigenes. Auch wenn er, ein Flüchtling, die 180 Euro Miete noch nicht zahlen kann. Derzeit wird die Miete an die Scholle durch Spenden beglichen. Kheder Abdulkarim ist Gastkünstler, Artist in Residence. Der erste in der Scholle.
„Eines Tages stand er hier vor der Tür“, sagt Anne Schulz, die im Haus ihr Design-Atelier hat. Der Mitarbeiter einer Fahrradwerkstatt hatte ihn zur Scholle mitgenommen und dort vorgestellt. „Wir haben gespürt, hier ist ein besonderer Mensch und er braucht einen Platz zum Arbeiten“, sagt Anne Schulz. „Wir möchten ihn fördern.“ Die basisdemokratische Künstlergemeinschaft stimmte zu. Für Kheder Abdulkarim wurde ein kleiner Raum, bisher als Lager genutzt, frei geräumt, eine Tür eingebaut, damit er abschließbar ist. Viele Bilder sind seitdem entstanden, einige wurden schon in Berlin in der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft gezeigt. Und auch in einer Gemeinschaftsausstellung in Marseille ist er derzeit zu sehen. Hinfahren kann er leider nicht. Zu teuer. Vielleicht auch zu schwierig für jemanden, der gerade beginnt, sich in einem neuen Kulturkreis einzuleben.
Kheder Abdulkarim ist Kurde. In Syrien eine rechtlose Bevölkerungsgruppe, ohne eigene Sprache, ohne Ausweis, unter totaler Kontrolle und politisch verfolgt. Auch er wird eines Tages verhaftet, landet für sieben Jahre im Gefängnis. Dort beginnt er, aus Gemüsekisten in der Küche Skulpturen bauen. „Im Gefängnis gibt es ja keine Farbe.“ Erst nach der Entlassung beginnt er zu malen. Gehört zu Syriens Künstlerszene, ist gut vernetzt, kann von seiner Kunst auch leben. Alles, was damals entstand, ist freilich bei der Flucht vor drei Jahren zurückgeblieben. Hunderte Bilder, das Haus der Familie, das Grundstück, auf dem sie etwas Landwirtschaft betrieben. Was damit jetzt ist, das weiß er nicht. Aber Bilder sind nur Bilder, sagt der Maler. „Die Kinder konnte ich retten. Das war wichtig.“
Schon im Lager in Eisenhüttenstadt beginnt er wieder zu malen, nach wenigen Tagen sind die Wände des Gemeinschaftszimmers voll mit Skizzen und Zeichnungen. Dann kommt er nach Potsdam, kann vor einem Jahr die drei Söhne und seine Frau nachholen. Jetzt wohnen sie in einer eigenen Wohnung. Platz zum Malen ist dort nicht. Aber dazu fährt er fast täglich in die Scholle. Immer nachmittags, nach dem Deutschkurs. Was ihm noch fehlt, ist Material. Papier, Leinwand, Rahmen, Farben, Pinsel. Manches bekommt er geschenkt. Und Kheder Abdulkarim ist praktisch veranlagt, kann improvisieren. Aus Holzresten vom Sperrmüll, zum Beispiel einem alten Lattenrost, baute er Rahmen. Sand und Pigmente holte er sich auch der Natur, manches direkt vom Straßenrand, und mischte damit Farbe. Alte Textilien zerschnitt und zerrupfte er – für Collagen. Er kommt zurecht. In der Scholle gibt es gutes Karma, sagt er. Schritt für Schritt vernetzt er sich, lernt Potsdams Kunstszene kennen. Die Ausstellung mit den Wolfsskulpturen auf dem Alten Markt hat er sich angesehen. Und war sehr beeindruckt.
Seine eigenen Bilder erzählen meist schlimme Geschichten. Er malt gegenständlich, aber nicht naturalistisch. Formen werden abstrahiert, lösen sich in Konturen auf, verschwimmen. Die Oberfläche mutet porös an, erdig, verwischt. Manches wirkt wie schnell und wild hingepackt, als ginge es darum, etwas loszuwerden. Etwas hinter sich zu bringen.
Meist malt er Menschen als Gefangene, angekettet, festgehalten, verlassen. Manche erinnern an Kreuzigungsszenen, die Scham jedoch entblößt, der Mensch, das göttliche Geschöpf, auf der Schlachtbank, dem Irrsinn preisgegeben. Das große, übergeordnete Motto derzeit in seinem Werk: Füße. Sie finden sich in fast jedem Bild, drängen sich dann oft in den Vordergrund. Die Füße stehen für die Foltermethoden in Assads Gefängnissen, erklärt der Maler. „Wir wurden immer auf die Füße geschlagen. Bis sie rot und blau, fast schwarz waren“, sagt Kheder Abdulkarim. „Ich spüre das noch heute.“ Und blickt dabei hinunter auf seine eigenen Füße, die ihn schließlich hierher trugen. Die ihn befreiten. Auch das können Füße. Laufen und fliehen.
Wer für das Gast-Atelier spenden möchte: Kontakt über www.stadtteilnetzwerk.de
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