Kultur: Wunderbar, doch gnadenlos
Ramón Ortega Quero spielt im Osterkonzert der Kammerakademie Potsdam das Oboenkonzert von Richard Strauss
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Die große Zeit ist 1945 auch für Richard Strauss vorüber. Glanz und Glamour haben sich aus seinem Leben verabschiedet. Der Opportunist, der den Nationalsozialisten in Sachen Kulturpolitik zu Willen steht, hat auch mit dem Alter zu kämpfen. Er wird in jenem Jahr, als die bedeutenden Wirkungsstätten seiner Kunst in Trümmer liegen, die Opernhäuser in Dresden, Berlin, München oder Wien, 81 Jahre alt. Von Melancholie, vom Abschiednehmen ist seine Musik aus dieser Zeit durchdrungen, aber auch von Erinnerungen an heiter-sorglose Zeiten. Der Herbst ist angebrochen in Leben und Tonkunst. Als amerikanische Soldaten auch in seinem Haus in Garmisch sich Quartier verschaffen, hat Richard Strauss trotz der einsetzenden wohnlichen Enge Glück. Die GIs sind Musikliebhaber. Mit John de Lancie, Solo-Oboist aus Philadelphia und nunmehr Soldat, kommt er intensiv ins Gespräch. Auf die Frage, ob der Maestro denn nichts für Oboe geschrieben habe, antwortet der nur kurz und knapp: Nein. Nach diesen Gesprächen ensteht sein Konzert für Oboe, sein einziges, das er für dieses Blasinstrument komponiert hat.
Der Solo-Oboist des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Ramón Ortega Quero, wird am Ostersonntag gemeinsam mit der Kammerakademie das Oboenkonzert von Richard Strauss im Nikolaisaal musizieren. Eingerahmt wird das D-Konzert mit seiner verschwenderisch strömenden Kantabilität von Wolfgang Amadeus Mozarts ungestüm-frischen Ouvertüre zur Oper „Die Hochzeit des Figaro“ und der Serenade in B-Dur KV 370a, auch „Gran Partita“ genannt, die durch die ungewöhnliche Bläserbesetzung, ihrer dynamischen Bandbreite und Differenzierung immer wieder die Zuhörer begeistert. Die Kammerakademie leitet Chefdirigent Antonello Manacorda.
Solist Ramón Ortega Quero befindet sich mit Mitte zwanzig schon im Olymp der Oboisten. Schon als Kind machte er die Bekanntschaft mit diesem Holzblasinstrument. „Mein Vater, der am Konservatorium meiner Heimatstadt Granada Musiktheorie unterrichtete, wurde von seinem Freund, einem Oboenlehrer, inspiriert, dass ich doch sein Instrument erlernen sollte“, erzählt Ortega Quero. „Das interessierte mich schon, denn Blaskapellen sind in Spanien sehr beliebt. So malte ich mir aus, dass ich eines Tages mit der Oboe in einer Banda mitspielen könnte. Der Professor sagte aber zu mir: Da müssen wir erst einmal sehen, ob das funktioniert, denn nicht jeder kann Oboe spielen. Ja, so wurde mein großes Interesse geweckt.“ Mit acht Jahren begann Ortega Quero am Konservatorium in Granada das Oboen-Spiel zu erlernen. Mit 18 verließ er die Schule und ging nach Rostock. An der dortigen Musikhochschule unterrichtete Gregor Witt, Solo-Oboist der Staatskapelle Berlin und ein hervorragender Lehrer.
Aber nur ein halbes Jahr blieb er in der norddeutschen Hansestadt. Dann wechselte er bereits nach München. Der Erste Preis beim ARD-Wettbewerb, den er 2007 mit 19 Jahren gewann, machte es möglich. Seine internationale Karriere begann. Ortega Quero wurde Erster Oboist im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. „Es macht große Freude, in diesem Orchester zu musizieren, lernt man doch in ihm die Vielfalt des sinfonischen Repertoires kennen“, so der Oboist. Am liebsten spielt er jedoch Barockmusik, als Solist oder mit Kammermusikpartnern. „Die Kompositionen aus dem 18. Jahrhundert sind meine Leidenschaft und für mein Instrument sind sie sehr wichtig. Die bedeutsamsten Werke des Repertoires stammen aus jener Epoche. Denken Sie an die Vivaldi-Konzerte, an Albinoni, Marcello, Sammartini oder auch an Telemann, der immer noch stiefmütterlich behandelt wird.“
Am Ostersonntag steht aber nicht Barockmusik auf dem Programm im Nikolaisaal, sondern das spätromantische Oboenkonzert von Richard Strauss – ein wunderbares Werk, dankbar und doch gnadenlos für jeden Solisten. Der Komponist lässt gleich zu Beginn nicht zu, dass der Oboist Luft holt. „Doch er kann ihn mit einem Trick überlisten. Die mehrere Tausend Jahre alte Technik der Zirkuläratmung lässt es zu“, erzählt Ramón Ortega Quero. „Man kann beim Spiel die Luft, die man aus den Lippen presst, einatmen.“ Das Konzert gehört selbstverständlich zum Repertoire eines jeden hervorragenden Solisten. Er wird es – trotz seiner immensen Schwierigkeiten – als Herausforderung betrachten. Und letztendlich berührt immer wieder diese Musik, die von höchster Vollendung ist.
Am 9. Oktober 1945 sitzen Richard Strauss und seine Frau Pauline in Garmisch auf den Koffern. Sie sollten sich eigentlich einem Entnazifizierungsgespräch stellen. Im Gepäck verstauen sie zahlreiche Handschriften und das unfertige Oboenkonzert. An der Grenze werden sie zunächst in Haft genommen. Doch gegen ein Exemplar der Partitur der Alpensinfonie lässt der französische Oberbefehlshaber sie die Grenze passieren. Sie erreichen Zürich, die Handschriften wandern in den Hotelsafe als Pfand gegen unbezahlte Hotelrechnungen. Wenige Tage später vollendet Strauss das Konzert, 1946 wird es in Zürich uraufgeführt – von Marcel Saillet und nicht „von diesem Oboisten aus Chicago“, wie Strauss sich irrtümlicherweise an seinen Gesprächspartner aus Philadelphia erinnert.
Osterkonzert mit Ramón Ortega Quero und der Kammerakademie Potsdam am 5. April um 18 Uhr im Nikolaisaal
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