zum Hauptinhalt
Da kann man nur noch schreien. Schach von Wuthenow (Wolfgang Vogler) und Victoire (Patrizia Carlucci) auf dem Weg zum großen Eheglück.

©  HL Böhme

Kultur: Wurm von Wuthenow

Tobias Wellemeyer eröffnet die neue Spielzeit mit einem Ausflug in die Zwänge des 19. Jahrhunderts

Stand:

Die erste Inszenierung einer Spielzeit ist immer auch ein Versprechen. In welche Richtung bewegt sich das Theater im bevorstehenden Jahr, wo will es hin, welche Fragen werden es beschäftigen? Angesichts des Potsdamer Spielzeitauftakts „Schach von Wuthenow“ vom vergangenen Freitag durfte man sich fragen: Warum beginnt Tobias Wellemeyer seine dritte Potsdamer Spielzeit im Herbst 2011 mit einer Novelle über Ehrverletzung, Preußentum und außerehelichen Verkehr von 1883? Mögliche Antworten: Weil der Autor Theodor Fontane heißt (und Vorzeige-Brandenburger ist). Weil die gegebenen inhaltlichen Parameter vereinfacht sind (und es wie so oft bei Fontane um mehr geht). Weil die Spielzeit im Zeichen der Preußen stehen soll, schließlich wäre Friedrich II. in der gerade begonnenen Spielzeit 300 Jahre alt geworden.

Intendant Wellemeyer hat bei Beginn seiner Intendanz bekanntlich ein gewisses Interesse an preußischer Geschichte verlautbaren lassen, an der Reibung zwischen Kaserne und Schlosspark. Um Geschichte geht es nun im „Schach von Wuthenow“ tatsächlich – um Reibung nur bedingt. Fontane hat die Erzählung im Jahr 1806 angesiedelt, sie spielt kurz vor der Schlacht von Jena und Auerstedt, der großen Niederlage Preußens gegen Napoleon. Die Atmosphäre unter den preußischen Militärs ist eine zwischen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn. Wie der Herr Schach von Wuthenow (Wolfgang Vogler). Der ist Rittmeister in der preußischen Armee, wird als schöner, stattlicher Mann beschrieben – oder auch, vom kritischen Militärberichterstatter Bülow (Michael Schrodt), als „Verkörperung der ganzen preußischen Beschränktheit“. Für solche widerborstigen Sätze ist man Fontane dankbar. Sie sind leider selten.

Diesem Schach, Frauenheld und aufrichtiger Patriot, widerfährt zutiefst Unheldisches: Er verguckt sich in ein junges Mädchen, das so gar nicht in das Trophäengehabe der Männer seines Schlages passen will. Vielmehr ist Victoire (Patrizia Carlucci) nicht nur die Tochter der Frau, mit der Schach eigentlich gerade halboffiziell ein uneheliches Techtelmechtel hat. Das Mädchen trägt zudem die Spuren des gerade unter Soldaten gar nicht gesellschaftsfähigen Todes im Gesicht: ein Muster aus Pockennarben. Seitdem sie als Kind nur knapp die Krankheit überlebt und für den Heiratsmarkt disqualifiziert wurde, genießt sie die Freiheit derer, die sich nicht um die Etikette scheren müssen. Patrizia Carlucci als gar nicht hässliche Victoire bezirzt die anwesenden Herren, darf forsch mitdiskutieren und sich barfüßig in großen Sprüngen über die Bühne bewegen, wo andere in Stiefel und Stöckelschuhe gezwängt sind. Ein Freigeist!

Trotz des Makels fühlt sich Schach von dem Mädchen ebenso angezogen wie von der schönen Mutter Josephine von Carayon (Marianna Linden) und weiß gar nicht so recht, wie ihm geschieht. Das kann uns als Zuschauern nicht passieren: Die bei Fontane angelegte Metaphorik aus Licht und Schatten betonen Textfassung (Wellemeyer/Jaksch/Scharfenberg) und Bühne (Alexander Wolf) so deutlich, dass auch Kurzsichtigen klar werden muss, wie sehr das eine das andere bedingt. „Wo viel Licht ist, ist viel Schatten“, weiß auch Victoire – und meint sich selbst im Gegensatz zur strahlenden Mutter. Die Bühne ist ein Holzsteg, der von der Rampe ins Bühnendunkel führt, links ahnt man das Geländer, dahinter ein Gewässer. Immer wieder fällt dichter Nebel auf die Planken, ab und an rutscht ein goldoranger Mond in den Horizont. Und über alldem liegt ein Sound aus Musik, große melodische Bögen. Klare Emotionen, wie oft in Wellemeyers Theater: ein zuweilen packender Gefühlsbilderbogen. Mit Reibung, mit Auseinandersetzung hat das wenig zu tun.

Hoffmannsthal hätte seine Freude an dem eher schwülen Symbolismus gehabt – aber Fontane? Die Distanz, die er durch seinen trockenen Humor all seinen Figuren gegenüber hält – Wellemeyer hält sie nicht. Er bezieht klar Stellung, und zwar für die beiden Frauen. Er lässt die Geschichte aus der Perspektive Victoires beginnen, und er wird sie, die schon im Namen den Sieg trägt, am Ende als Gewinnerin darstellen, als unabhängige Frau. Alleinerziehend! Aber erst müssen sie und Schach durchs Fegefeuer: In einer Nacht, die Mutter ist außer Haus, lässt sich der Verführer Schach zunächst von Victoire verführen, sie springt ihn einfach an, knäult sich um seinen Hals und nimmt sich, was sie will. Victoire wird schwanger, die Mutter und Ex-Geliebte fordert Heirat, und Schach fügt sich – weniger aus Ehr- denn aus Pflichtgefühl: Das Königspaar selbst hat von der Sache Wind bekommen und fordert „Honnêteté“ – Heirat oder Austritt aus der Armee. Spätestens hier hebt die Geschichte ab, hört endgültig auf, für das Heute gültig zu sein. In einem surrealen Befreiungsschlag wirft endlich auch Wellemeyer das historisierend Metaphorische für einen Moment ab: Eddie Irle tritt als schrecklich-strahlende Transvestitenkönigin Luise auf und liest dem Wurm von Wuthenow die Leviten, „Gott befohlen“.

Schach leistet Folge, aber warum er sich deswegen die Kugel gibt, wirkt aus heutiger Sicht arg konstruiert. „Der Schach von Wuthenow“ ist ein Ausflug in gesellschaftliche Zwänge, vor denen man als Zuschauer 2011 Tourist bleibt. Trotz Fontane und Preußen und 300 Jahre Friedrich II. – die Frage, wo das Hans Otto Theater in dieser Spielzeit wohl hin will, möchte man an diesem Abend lieber nicht grundsätzlich stellen. Vielleicht würde man sonst Wuthenow zitieren, der an einer Stelle sagt: „Ich wünsche Vergnügen oder Erholung im Theater, aber keine Strapaze.“ Das wäre für Potsdam ein bisschen wenig.

Wieder am 17., 18. und 23. September im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })