Kultur: Zauberspiegelei
Fünf Künstler füllen fünf Raume der Villa Schöningen mit ihren „Grenzgängen“ zwischen Kunst und Design. Heute ist Eröffnung
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Wer einmal in die Welt von Olafur Eliasson eintritt, ist ihr verfallen. Er wird süchtig nach dieser spielerischen Leichtigkeit, in der sie sich bewegt, von dieser Faszination aus Licht und Farbe, der scheinbaren Auflösung aller Grenzen und Regeln. Dabei beherrscht gerade dieser aus Island stammende Künstler die Regeln der Lichtbrechung wie kein Zweiter – und gerade deshalb kann er so virtuos das Karussell der Magie bedienen. Wie ein Dompteur beherrscht er die Eskapaden seiner Spiegelei, die er in wilder Ordnung zähmt.
Im Berliner Martin-Gropiusbau verspiegelte der Künstler vor zwei Jahren einen ganzen Raum und brachte den sich darin verlierenden Besucher ins Schwanken. Dem Eindringling dieser verglasten Welt schien der Boden unter den Füßen wegzurutschen. Hier in Potsdam baute der international gefeierte Eliasson für die Ausstellung „Grenzgänge“, die am heutigen Mittwoch in der Villa Schöningen innerhalb der „Berlin Art Week“ eröffnet wird, einen silberfarbigen Trichter. Wenn man in dieses „Teleskop“ hineinschaut, wird der eigene Kopf zum Sternenhimmel und hundertfach aus allen Perspektiven beleuchtet. Es ist wie in einem gefüllten Theater, aus dem von allen Plätzen immer das eigene Gesicht herauslächelt. Ja, lächelt. Denn dieses Kunstwerk zaubert gute Laune ins Gesicht. Es ist kein kopfloses Durcheinander, was sich hier offenbart, sondern ein in warmes Licht getauchtes vielfaches Wohlsein. Der 45-jährige Olafur Eliasson, der sich in seinen Werken immer wieder so überraschend mit physikalischen Phänomenen wie Licht und Wasser, Bewegung und Reflexion auseinandersetzt, lebt wie alle fünf in der Villa Schöningen ausstellenden bekannten Künstler in Berlin. „Wir wollten mit dieser Schau beleuchten, was den Kunststandort Berlin, der international derzeit so relevant ist, eigentlich ausmacht und insbesondere die Grenze zwischen Kunst und Design beleuchten“, so die Kuratorin Ina Grätz. Jeder der Künstler füllt mit seiner ganz eigenen Aura jeweils ein Zimmer dieser Villa mit dem geschichtsbeladenen Blick auf die Glienicker Brücke.
Tobias Rehberger aus Esslingen, dessen Werke sich frei zwischen Malerei, Bildhauerei, Design, Aktionskunst und Architektur bewegen, setzt auf die Schattenwürfe dieser Brücke; Schatten, die an geheime Nachrichten und den Spionageaustausch erinnern sollen. Beim Aufbau der Ausstellung waren diese geheimen Botschaften noch nicht alle zu entschlüsseln, die Lichttechnik war noch nicht installiert. Ohnehin wird sich dieses Werk dem Besucher erst nach einem ganzen Tag vollends erschließen – denn so lange brauchen die schattenwerfenden Skulpturen, um sich einmal um die eigene Achse zu drehen. So viel sei aber verraten: Tom Cruise ist der Name, der am Ende dieser Drehung an der Wand zu lesen ist, gespeist aus einer mit Kakteenfotos überzogenen Säule und einem abstrakten gehörnten Wesen. Offensichtlich wollte der Künstler mehrfache Brücken schlagen: wohl zu den Filmstudios Babelsberg, wo Tom Cruise drehte, und vielleicht auch zur Scientologie-Psycho-Sekte, der der Schauspieler angehört. Wie gesagt, die Wirkung war noch nicht so ganz zu ergründen.
Anders als bei Max Frisinger, der gusseiserne Heizkörper zerlegte und daraus bizarre Skulpturen schuf, die in ihrer Verfremdung des Alltäglichen wahrhaft überraschen. Diese mehrrippigen schweren Wärmespender, die allmählich aus den Wohnungen verschwinden, erhalten bei ihm geradezu Schwung und Leichtigkeit. Sein „Birdy“ setzt vogelartig zum Flug an, ein anderer Metallstumpf steht wie auf einem Storchenbein kerzengerade und scheint in die Ferne zu schauen. Aus einem anderen polierten und zugleich mit schwarzen Rußresten überzogenen Eisenfragment starren den Besucher dunkle Augenhöhlen an. Irgendwie erinnern sie auch an das Skelett eines Menschen. Frisinger versteht es, mit seinen assoziationsreichen Schwergewichten Räume zu verfremden, mit Eigensinn und überraschenden Ausformungen.
Während der 32-jährige Frisinger, Preisträger des 2011 erstmals vergebenen Bonner Nachwuchs-Kunstpreises „Start“, wuchtigem Metall seine Schwere nimmt, geht Anselm Reyle eher den umgekehrten Weg. Reyle, der in diesem Jahr für Dior Taschen, Schuhe und Nagellack kreierte, ist ein subtiler Grenzgänger zwischen Kunst und Design. Auch er setzt auf Lichteffekte. Aber es scheint, als würde er weiches Material wie Folie und Plexiglas verfestigen. Sein großes blasslila Relief hinter Glas mutet an wie eine aufgebrochene Gebirgslandschaft. Davor steht eine Schaufensterpuppe, die er mit einem Soldatenkäppi und einem schwarz-silbernen Umhang aus glänzender Folie gekleidet hat, der mehr offenbart als verhüllt. Er wirkt verletzlich und lebendig: dieser Frauenkörper, genannt „Natascha“. Ja, er rührt geradezu an in seiner schlichten Traurigkeit.
Noch ganz frisch sind die Arbeiten von Katharina Grosse, die sie ganz speziell für diese Ausstellung gemalt hat. Der Geruch von Farbe liegt schwer in der Luft. Doch ihre fernöstlich anmutenden Flugobjekte auf den raumhohen Gemälden schweben leichtfüßig wie Drachenläufer am Himmel: farbenfroh, aber eher im Absturz als im Aufstieg begriffen. Die 1961 in Freiburg geborene Künstlerin, die gern alle festgelegten Grenzen und Hierarchien außer Kraft setzt, wählte für diese Ausstellung allein die Malerei: mit imposantem expressiven Gestus, der den ganzen Raum in Schwingung bringt. Himmlische Botschaften, die wie Wetterleuchten die Seele erfassen, doch sich schnell zu verflüchtigen drohen, sandte die Professorin der Kunsthochschule Berlin-Weißensee hiermit nach Potsdam. Katharina Grosses Formen auflösenden Farbspuren sind wie ein Verbindungsglied zwischen den schattenwerfenden Skulpturen der männlichen Kollegen und wie das Vorspiel zum Lichttheater von Olafur Eliasson.
Die Ausstellung „Grenzgänge“ wird am heutigen Mittwoch um 16 Uhr innerhalb der Berlin Art Week in der Villa Schöningen, Berliner Straße 86, eröffnet. Regulär geöffnet ist die Gruppenausstellung vom 18. September bis zum 6. Januar, Dienstag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Eintritt 9, ermäßigt 7 Euro
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