Kultur: Zeit fühlen
In der fabrik hat am Freitag das Stück „the time between “ Premiere: ein „Seitensprung“ in die Artistik
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Die Zeit flieht. Und um so älter man wird, um so schneller scheint sie davon zu rasen. Sebastiano Toma ist 52 und entzieht sich bewusst der Hatz des Alltags. Er hat inzwischen die Gabe, sich auf den Moment zu konzentrieren, genießt die Sonnenstrahlen, die gerade in die fabrik-Küche hinein scheinen ebenso wie die Stunden, die er mit seinem Sohn und seiner Frau verbringen kann. „Mit zunehmendem Alter spürt man die Endlichkeit des Lebens. Doch um sie richtig zu begreifen, mussten erst böse Krankheiten durchlitten werden und beide Eltern sterben“, sagt der italienische Theatermann.
Seit zwei Jahren versucht er, auch künstlerisch die Zeit einzufangen: Entstanden ist in dieser Auseinandersetzung das Stück „the time between“, das am Freitag in der neuen fabrik-Reihe „Seitensprünge“ Premiere hat.
Wie aber lässt sich Zeit sinnlich fassen und für andere fühlbar auf die Bühne bringen? Der Regisseur bedient sich dabei eines sehr luftigen Mediums, in dem es aber um die Genauigkeit einer Millimetersekunde geht: dem Tanz auf dem Seil und der Jonglage. Ist man dort nur einen kurzen Moment unachtsam: tritt oder greift man daneben. Es folgt der Fall in die Tiefe.
Marie Seeger, Silea Adalwolf und Thomas Dürrfeld – alle drei Absolventen der Staatlichen Ballettschule und Schule für Artistik Berlin – sind etwa halb so alt wie der Regisseur. „Dennoch konnten auch sie viel mit dem Thema Zeit anfangen, auch wenn sie es vielleicht anders besetzen. Für sie geht es mehr um die Angst, den richtigen Moment für die Karriere zu verpassen.“
Dinge, die für Sebastiano Toma im jugendlichen Alter ebenso wichtig waren. Damals tourte der in Deutschland und Italien aufgewachsene gebürtige Belgier mit seinen „Fliegenden Bauten“ durch die Welt. Rastlos – von einem Aufführungsort zum nächsten. Das Zelt als mobile Herberge. Das Theaterspiel erlernte er durch Selbsterfahrung, durch Kurse und die Arbeit mit verschiedenen Regisseuren. Irgendwann war er dann selbst Regisseur und Bühnenbildner dazu. „Es war eine richtige Kollektivzeit, jedes Mitglied der Fliegenden Bauten hatte seine Spezialität.“ Kurz nach der Wende löste sich die Gruppe, die auf dem Gelände der Kampnagel-Fabrik Hamburg ihr Winterquartier hatte, auf. Mit einem dreiwöchigen Festival für Kabarett und Theater in Dresden gab es ein Finale mit Pauken und Trompeten. „Wir waren durchaus noch erfolgreich, spürten aber, wenn wir jetzt weitermachen, wiederholt sich etwas. Also trennten sich unsere Wege.“
Heute ist Sebastiano Toma Produzent und Regisseur. „Ich denke mir neue Sachen aus und begeistere andere dafür.“ So wie bei „Tiger Lillies Circus“ oder der auf dem Fringe Festival in Edinburgh ausgezeichneten Produktion „Balagan“. „Auch dort wirkten schon Thomas und Marie mit, die ich als Jurymitglied bei einem Festival auf Sylt kennenlernte. Ich hatte immer eine besondere Ader für artistische Elemente und meine Arbeiten sind meist sehr bildhaft.“
Für „the time between“ durchlief die Gruppe einen langsamen Reifeprozess. Das war auch dem Umstand geschuldet, dass alle noch in anderen freien Projekten stecken. „Zuerst haben wir aus der Retorte gearbeitet und es entstand eine bunte Collage. Dann haben wir alle Nummern wieder aufgelöst und neu zusammengefügt. Diesmal zur Musik, die der Ukrainer Mark Chaer minutiös auf jede der Szenen schrieb. Dadurch bekam das Ganze eine Farbe und eine Handschrift. Sein Soundtrack ist maßgebend für die Produktion, an der noch zwei weitere Musiker beteiligt sind.“ Sebastiano geht es vor allem darum, Kontraste zu zeigen: zwischen Rasen und Verharren. „Wenn man Zeit mit der Natur erlebt, hat sie etwas Romantisches. Doch seit es Uhren gibt, haftet ihr auch etwas Brutales an, wie das Stechen der Zeit. Ist man nicht pünktlich, folgen oft Strafen. Die schönen Momente wollen wir indes verewigen. Und oft schießen wir dafür Fotos in Hülle und Fülle. Aber wir haben nicht zwei Mal die Zeit, das Leben anzuschauen.“ „the time between“ will keine Geschichte erzählen, eher die verschiedenen Facetten von Zeit fühlen lassen. „Ich bin mir ganz sicher, dass es auch in dem Stück einige Momente gibt, in denen man verweilen und die man wiederholen möchte.“
Mit „Seitensprung“ startet die fabrik eine Reihe, die zum lustvollen Sprung ins Ungewisse – abseits des Tanzes – einlädt. Zum Auftakt also zu einem Sprung zwischen die Zeit.
Premiere: Freitag, 18. Januar, 20 Uhr; weitere Aufführung: 19. Januar, 20 Uhr.
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