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Kultur: Zeit voller Hoffnung

Sechs Wochen lang saß sie in Berlin-Hohenschönhausen in Stasi-Haft. Heute berät sie Menschen, die zu DDR-Zeiten verfolgt wurden. Ein Interview mit Ulrike Poppe

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Zusammen mit Bärbel Bohley wurde Ulrike Poppe 1983 wegen „Verdachts auf landesverräterische Nachrichtenübermittlung“ verhaftet, aufgrund massiver Proteste im In- und Ausland aber nach sechswöchiger Haft wieder freigelassen. Auf die Zeit unmittelbar nach dem Fall der Mauer blickt die frühere DDR-Bürgerrechtlerin mit gemischten Gefühlen. „In der Eile ist einiges auf der Strecke geblieben“, sagt sie heute. Seit 2010 ist Ulrike Poppe in Brandenburg die erste Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur.

Frau Poppe, wie erklären Sie einem heute 14-Jährigen, was unter einer DDR-Bürgerrechtlerin zu verstehen ist?

Ich würde ihm sagen, dass ich mit meinen Freunden versucht habe, mehr Freiheit einzufordern. Zum Beispiel sollte jeder seine Meinung sagen und die Regierung kritisieren dürfen. Dafür dürfe er nicht verfolgt oder gar ins Gefängnis kommen. Ich würde auch von einem Mitschüler erzählen. Der durfte kein Abitur machen, weil er in einem Brief an die DDR-Volkskammer die Frage nach der deutschen Einheit gestellt hatte.

Welche Gedanken bewegen Sie, wenn Sie 25 Jahre zurückdenken?

Es war eine aufregende Zeit, voller Hoffnung, endlich das erstarrte System aufzubrechen und zu verändern. Gleichzeitig wussten wir in der Anfangsphase der Revolution nicht, wie die Gegenmacht reagieren würde. Heute überwiegt die Erinnerung an die glücklichen Momente, als die SED-Führung und ihre Sicherheitskräfte vor dem entschlossenen Freiheitswillen der Bevölkerung kapitulierten.

Was ist das Wichtigste, was erreicht wurde?

Es waren die ersten freien Wahlen in der DDR. Damit wurde der Weg frei für eine demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung. Auch die Wiedervereinigung wurde damit möglich.

Was ist versäumt worden?

Die Entwicklungen von der Wende bis zur Wiedervereinigung im Oktober 1990 verliefen in einem unvorstellbaren Tempo. Es gab massiven Druck, außen- wie innenpolitisch. In dieser Eile blieb einiges auf der Strecke, vor allem die Gelegenheit für die Ostdeutschen, bei der Übernahme der bundesdeutschen Strukturen ausreichend einbezogen zu werden.

Was bewegt Sie, wenn in Thüringen ein Linken-Politiker möglicherweise erster Ministerpräsident wird?

Ich hätte mir gewünscht, dass seitens der SPD und der Bündnisgrünen mehr Bedenken gegen eine Koalition mit den Linken benannt worden wären. In Berlin und in Brandenburg haben die Linken in der Koalition Projekte zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur nicht blockiert, sondern sogar befördert. Ich hoffe, dass die Linke in Thüringen sich daran ein Beispiel nehmen wird.

Das Interview führte Gudrun Janicke

Ulrike Poppe (61) ist seit 2010 die erste Stasi-Beauftragte Brandenburgs. Mitte der 1980er-Jahre war sie Mitglied der Initiative für Frieden und Menschenrechte.

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