
© Manfred Thomas
Kultur: Zeitlos frisch
Herrmann Zschoches Frühwerk „Karla“ wurde im Filmmuseum gezeigt
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„Lieber Herrmann, zum ersten Mal ,Karla’ gesehen. Das ist ja so ein unglaublich wunderbarer Film. Du und Plenzdorf und die Hoffmann und Hentsch. Wirklich, ein großes, schönes Werk“, schreibt der Schauspieler Manfred Krug am 12. Februar 1995 an den Regisseur Herrmann Zschoche. Und ist mit seiner Begeisterung bei Weitem nicht allein. Auch viele andere Zuschauer sind ganz angetan, als sie den 1965 gedrehten Film „Karla“ in den 90er-Jahren erstmals sehen. Wie auch andere Filme der Jahresproduktion 1965/66, beispielsweise „Spur der Steine“, fiel dieser Film über eine unangepasste junge Lehrerin, dessen Drehbuch Zschoche gemeinsam mit Ulrich Plenzdorf erarbeitet hatte, dem 11. Plenum des ZK der SED zum Opfer. Selbst der Schnitt einzelner Szenen konnte nicht mehr verhindern, dass der Film wegen seines klaren Plädoyers für die Meinungsfreiheit in der DDR verboten wurde. Erst 25 Jahre später konnte der Film in seiner ursprünglichen, gut zweistündigen Fassung wiederhergestellt werden und im Juni 1990 in Berlin seine Zuschauerpremiere feiern. Im Rahmen einer Retrospektive mit Filmen in der Regie von Herrmann Zschoche wurde „Karla“ am Dienstagabend auch im recht gut besuchten Filmmuseum gezeigt.
Parallel zur filmischen Rückschau widmet das Filmmuseum Herrmann Zschoche, der von 1954 bis 1959 an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg Regie studierte und als der produktivste Defa-Regisseur gilt, eine aktuelle Foyerausstellung. Dabei wollen die Studierenden der heutigen Babelsberger Filmuniversität, die die Ausstellung kuratiert haben, vor allem thematische Kontinuitäten im Werk Herrmann Zschoches aufzeigen. Original-Filmplakate, etwa von „Sieben Sommersprossen“ (1978) oder „Insel der Schwäne“ (1983), dazu viele Szenen- und Aushangfotos, Stoff-Entwürfe oder ein von Christa Kozik geschriebenes Drehbuch zum Kinderfilm „Philipp der Kleine“ (1976), aber auch Requisiten, wie eine im Film „Hälfte des Lebens“ (1985) verwendete Büste von Jenni Gröllmann, illustrieren und veranschaulichen die fünf Themenbereiche (Alltag und Frauenbilder, Kinderwelten, Ideologie und Zensur, Liebe und Sexualität, Vergangenheit und Zukunft), in die sich die Schau entlang der Galerie gliedert. Dazu machen Pressezitate zu einzelnen Filmen die zeitgenössische Rezeption sehr gut nachvollziehbar oder belegen Protokollausschnitte, etwa der Hauptverwaltung Film des DDR-Kultusministeriums, die Schwierigkeiten, den Film „Karla“ unter den ideologischen Vorgaben zu produzieren. Der Film habe keine klare Zielstellung und lasse ohne Rücksicht auf Verluste den parteilich sozialistischen Standpunkt außer Acht, heißt es da. Dass der Film dann wegen seiner vermeintlich „pessimistischen und skeptizistischen Grundhaltung“ schließlich verboten wurde, mutet angesichts seiner Lebensnähe und Authentizität und der vom ersten Augenblick an fröhlich sympathischen Hauptfigur geradezu absurd an.
Denn kraftvoll, zugleich sinnlich und anrührend, mit einer beeindruckenden Präsenz und unangestrengten Verve spielt Jutta Hoffmann die Rolle der Karla Blum, die in einer Kleinstadt ihre erste Stelle als Deutsch- und Geschichtslehrerin einer 12. Klasse antritt. Voller Enthusiasmus möchte die junge Frau ihren Schülern nicht nur Stoff vermitteln, sondern sie vor allem zu selbständigem und kritischem Denken erziehen. Während ihre Klasse sie rasch akzeptiert, wird Karla vom Schuldirektor (Hans Hardt-Hardtloff) bald in die Schranken des Lehrplans und die Grundsätze sozialistischer Erziehung gewiesen, und besonders bei der Schulrätin (Inge Keller) stößt Karla mit ihrem unkonventionellen Verhalten auf Widerspruch. Zudem verliebt sie sich in einen gesellschaftlichen Außenseiter, den Journalisten Kaspar (Jürgen Hentsch), der seinen Beruf aufgegeben hat, da ihm verboten wurde, die Verbrechen Stalins aufzudecken. Irgendwann aber gibt Karla den Forderungen der Schulleitung nach und erhält gar einen Preis für ihren nunmehr linientreuen Unterricht. Dass sie innerlich resigniert hat, erkennt Karla erst jetzt und beschließt, ihren ursprünglichen nonkonformistischen Ansatz wieder aufzunehmen. Doch wird sie dafür am Ende von der Schulrätin in eine andere Schule versetzt. Was ihre Schüler und sogar der Direktor bedauern. Immerhin, ein kleiner Erfolg.
Gedreht in Schwarzweiß, mit tiefenscharfen Bildern ist „Karla“ ein alter, aber kein veralteter Film. Nein, er besitzt eine zeitlose Frische und erweist sich, trotz seiner Verortung in der DDR, noch immer als eindrückliches Plädoyer gegen Duckmäusertum, blinde Ignoranz und opportunistisches Schweigen. Oder wie es ein Zuschauer 1990 nach der Erstaufführung kommentierte: „Es geht um Zivilcourage und die brauche ich auch heute noch.“ Daniel Flügel
Die Ausstellung „Verteidigung des Alltags. Der Regisseur Herrmann Zschoche“ ist noch bis zum 1. März im Filmmuseum Potsdam in der Breiten Straße 1 A/Marstall zu sehen.
Daniel Flügel
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