Kultur: Zerknirschte Ketzer
Jürgen Holtz las beim Fontane-Symposium
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Jürgen Holtz las beim Fontane-Symposium Unter „Brandenburgischen Kirchen- und Ketzerhistorien“ stellt man sich Berichte und Mären von Verfolgten, Gequälten und Hingerichteten einst dunkler Tage vor. Kulturland Brandenburg hatte diesen Titel für die Abschlussveranstaltung des viertägigen Fontane-Symposiums gewählt, eine Lesung mit viel Text und etwas wenig Musik. Sie wurde in der sonderbaren Akustik der 1910/11 errichteten Inselkirche auf Hermannswerder ausgeführt, ein neugotischer Bau ohne Bilder, dafür so üppig ornamentiert. Der Schauspieler Jürgen Holtz bemühte sich, die durch Hanna Delf von Wolzogen und Christine Hehle zusammengestellte „Ketzerliteratur“ ausgerechnet vom Altarbereich zu lesen. Das nicht auf Anhieb temperierte Persius-Ensemble spielte Musik von Bach, Mendelssohn-Bartholdy und weiteren Komponisten, doch trotz des hochrangigen Aufgebotes wollte sich weder Zustimmung noch Abneigung für die auserwählten achtzehn Autoren einstellen. Jürgen Holtz selbst hatte angeordnet, die Lautsprecher um der Sache wegen leise zu drehen. Mühvoll, Fontane („Oceane von Parceval“) oder Mühsam akustisch aufzunehmen. Nach der Korrektur kam ein neues Unbill ans Licht: Holtz war eher Leser als ein gestaltender Sprecher. Hehren und meist gleichförmigen Tones, richtete er seine Worte an das vor ihm liegende Manuskript, nicht gen Publikum. Elementarfehler: eine Regie-Hand fehlte. Kein Geringerer als der pietistische Mystiker Gottfried Arnold (um 1700) hatte den Veranstalter zu dieser Sammlung des Unglaubens und Zweifelns inspiriert, denn es ist klar, wo Kirchen sind, da wimmelt es von Ketzern, Häresie gehörte seit Anbeginn zum theologischen Geschäft. Aber von wo aus ist denn einer fromm, der andere ein Schmäher? Beim Symposium ausführlich ventiliert, hätte man es auch diesmal gern gewusst. Die zitierte Autorenschaft aus vier Jahrhunderten forschte verwirrend nach Gott, hielt ihn allesamt für einen netten Mann und zweifelte, verzweifelte sofort, wenn er nicht so wollte, wie es sich Inge Müller oder Georg Heym (er fluchte Ihm sogar) wünschten. Das ging querbeet: Paul Gerhardts „Befiehl du meine Wege“ stand neben Brentanos „Frühlingsschrei eines Knechtes aus der Tiefe“, Luise Hensels „Müde bin ich, geh zur Ruh“ neben Münzers martialischer Drohung, das andersgläubige „Ungeziefer“ auszurotten. Der preußische König Friedrich II., sich angeblich aus Konfessionellem heraushaltend, um Parteienbildung zu vermeiden, gesellte sich zu der sanften Gertrud Kolmar, Brecht mit seiner Ansicht, ein „grausamer Gott“ sei, wer Brot zeige und die Leute dann verhungern ließe, zu Benn“s vereinsamter Bitternis: „Gott, du kannst mich nicht erhören!“ . Nach einem unklaren Ricicar à 6 aus dem „Musikalischen Opfer“ und Mendelssohn lockerem Intermezzo zum „Sommernachtstraum“ gab das Persius-Ensemble mit Dvoraks Andante aus der Serenade d-Moll op. 44 ein Meisterstück seines realen Ausdrucksvermögens. Später folgte Rudolf Karel, ein in Theresienstadt umgekommener Komponist. Der wunderbar gelöste Ton seines Molto Allegro aus dem Nonett op. 43 passte besser zu den kleinen und großen Häresien ganz unterschiedlicher Zweifler als die oft leidenschaftslose Sprache des sesshaften Schauspielers neben dem Kreuz. Auch Ketzer sind nicht immer nur Zerknirschte. Gerold Paul
Gerold Paul
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