Kultur: Zerstört – entführt – verschollen
Kunsthistoriker der Stiftung sind trotz der Kriegsverluste nach dem verlorenen Bild
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Kunsthistoriker der Stiftung sind trotz der Kriegsverluste nach dem verlorenen Bild Von Erhart Hohenstein In der Gelben Atlaskammer von Charlottenburg sieht der Besucher eine Kommode in Silber, einen von Antoine Pesne bemalten Kaminschirm und Gemälde von Watteau und Lancret in kunstvoll geschnitzten versilberten Rahmen. Sie alle gehören nicht hierher, denn die Wände waren bis zur Kriegszerstörung des Schlosses mit Grafiken geschmückt. Das Interieur stammt vielmehr aus dem Potsdamer Stadtschloss. König Friedrich II. hatte damit das 1744 von Nahl gestaltetete Ovale Speise(Tee)zimmer ausstatten lassen. Doch den einmaligen Stücken aus dem Rokoko fehlte nach Kriegsbeschädigung und Abriss des Potsdamer Schlosses der Raum, der Atlaskammer im wieder aufgebauten Charlottenburg dagegen die Ausstattung. So wagten die Kusthistoriker der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, sie hier neu aufzustellen. Wegen des Raumeindrucks gingen sie sogar so weit, die erhaltenen Stühle gelb beziehen zu lassen. Vorher waren sie wie mit einem bläulichen Stoff bespannt, der Grundfarbe des Ovalen Speisezimmers. An diesem Beispiel machte Dr. Christoph Martin Vogtherr, Kustos für Gemälde, während einer Spezialführung „Zerstört - entführt- verschollen“ die Schwierigkeiten deutlich, vor der die Stiftung bei der Ausstattung ihrer Museumsschlösser steht. Zum einen sind im Krieg zahlreiche Gebäude zerstört worden, zum anderen werden die Kriegsverluste allein an Gemälden auf mehr als 3300 geschätzt, etwa die Hälfte der bis 1942 in der damaligen Verwaltung der preußischen Schlösser registrierten. Dazu hat Vogtherr zusammen mit seinem Kollegen Gert Bartoschek bekanntlich vor kurzem einen Verlustkatalog vorgelegt. Zahlreiche, so Deckengemälde und wandfesten Bilder, wurden im Bombenhagel zerstört, andere sind seit den umfangreichen Auslagerungen im Kriege verschollen, auch deutsche Plünderer haben sich manches Kunstwerk angeeignet. Die Mehrzahl aber ist in die Sowjetunion abtransportiert worden. Die Situation ist bekannt und hat sich nach Vogtherrs Worten in den letzten Monaten nicht verändert: Die Duma, das Parlament, betrachtet die Kriegsbeute als legitimen Besitz Russlands und lehnt eine Rückgabe ab. Eine Rückführung der Schlossräume in Potsdam und Berlin auf ihre orginale oder auch im Laufe der Jahrhunderte veränderte Ausstattung mit Gemälden ist also nur in seltenen Fällen möglich. Die Kunsthistoriker müssen deshalb immer wieder neue Lösungen finden, um den Besuchern dennoch ein authentisches Bild zu vermitteln. Das kann bedeuten, den ursprünglichen Raumeindruck wiederherzustellen. Als „revolutionäres“ Beispiel dafür zeigte Christoph Martin Vogtherr den Fest- und Thronsaal in Charlottenburg. Hier ist das schlecht dokumentierte, kriegszerstörte Deckengemälde von Antoine Pesne von dem 1999 verstorbenen Maler Hann Trier unter Verzicht auf eine figürliche Darstellung durch eine abstrakte Paraphrase ersetzt worden. In anderen Räumen werden alle noch vorhandenen Originalgemälde konzentriert, die einst hier hingen. Das ist fast immer nur ein Teil, und so wird beispielsweise ein früher aus Gründen der Repräsentation dicht an dicht mit Bildern voll gehängtes Vorzimmer, in dem die königlichen Gäste auf die Audienz warteten, nie wieder seinen originalen Raumeindruck vermitteln. Die Zusammenführung der Berliner und der Potsdamer Schlösserverwaltung nach der deutschen Wiedervereinigung zur Stiftung Preußische Schlösser und Gärten hat den Kunsthistorikern, Denkmalpflegern und Restauratoren viel Arbeit gebracht, aber auch neue Möglichkeiten eröffnet. Durch die Auslagerungen im Zweiten Weltkrieg waren beispielsweise wesentliche Bestände aus Schloss Sanssouci (so die Bibliothek Friedrichs des Großen) nach (West)Berlin geraten, eine Fülle Charlottenburger Kunstwerke dagegen nach Potsdam. Sie konnten nun an ihre originalen Plätze zurückgebracht werden. Als kurioses Beispiel nannte Vogtherr die in der Gelben Atlaskammer gezeigten Bilder. Die Gemälde befanden sich in Charlottenburg, die Silberrahmen in Potsdam. In diesem Fall wurde also wirklich zusammengefügt, was zusammengehört.
Erhart Hohenstein
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