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Fliegende Bilder. Die beiden Potsdamer Artisten Jakob Feldtkeller (r.) und Philipp Siefert (l.) gehören zur Company Triplex, die ab morgen ihr erstes selbstentwickeltes Stück in der „fabrik“ zeigt. Es ist die Abschlussarbeit ihres Studiums in der Berliner „Etage“.

© andre.as.pekte

Potsdam: „Ziemlich krasse Charaktere“

Neuer Zirkus mit der Company Triplex und ihrem Stück „Flight cancelled“ ab Freitag in der „fabrik“

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Es müssen weder Zelte noch Tiere sein. Zirkus kann auch unter festem Dach oder freiem Himmel allein durch Akrobaten und Jongleure faszinieren. Zumal, wenn er wie in der Company „Triplex“ zirzenische Kostbarkeiten mit Tanz, Schauspiel und Pantomime verbindet und dazu noch eine Geschichte erzählt. Mit diesem Anspruch gehen Jakob Feldtkeller, Philipp Siefert, Anna Harrison und Philipp Begelspacher, Absolventen der „Etage“, in den Endspurt ihres Studiums. Wenn sie am morgigen Freitag zu „Flight cancelled“ in die „fabrik“ einladen, ist das zugleich ihre Abschlussarbeit an der Berliner Schule für Darstellende und Bildende Künste.

Noch liegen Bälle, Keulen, Hüte und Koffer am Bühnenrand. So bleiben vor Probenbeginn noch einige Minuten Zeit für ein Vorgespräch über diese erste Inszenierung der Debütanten. Die beiden Potsdamer, Jakob Feldtkeller und Philipp Sieferts, erinnern sich an ihre ersten Jonglage-Versuche in der Montessori-Schule. Nachmittags besuchten sie die Arbeitsgemeinschaft Montellino und wirbelten im Zusammenspiel immer sicherer erst Bälle, dann Keulen durch die Luft. Als Montellino aus der Schule ausgegliedert wurde und sich zu einem großen Kinder- und Jugendzirkus mit heute rund 200 Mitgliedern und einem festen Zelt im Buga-Park entwickelte, blieben die beiden Jungs dabei, wurden sogar selbst dort Trainer. Der Wunsch, einmal als Artist durch die Welt zu reisen – ohne Zirkuswagen – bekam immer mehr Gestalt.

Eine bessere Startrampe als die „fabrik“, dem internationalen Zentrum für zeitgenössischen Tanz, konnten sie für das nun anstehende Wagnis Freiberuflichkeit wohl kaum finden. „fabrik“-Tänzer Sven Till, der neben dem Krankenhaus-Clown Reinhard Kotte das Vorhaben der jungen Artisten unterstützt, sieht gerade im Neuen Zirkus eine sich ausweitende künstlerische Bühnenform, in der die Grenzen zu anderen Genres, wie Theater, Tanz und Bildender Kunst übersprungen werden. „Noch ist sie in Deutschland ein Stiefkind, aber vor allem in Berlin ist nach dem Vorbild des legendären französischen Nouveau Cirque viel in Bewegung.“ Die „fabrik“ holt immer wieder erfolgreiche Artistengruppen aus aller Welt nach Potsdam: vor allem zur luftig-leichten und atemberaubenden Sommerbespielung ihrer Wiese. „Wir möchten helfen, den Neuen Zirkus als eigene Kunstform zu etablieren und dafür Orte außerhalb der althergebrachten Zeltwelt zu finden, so wie im Berliner Theater Chamäleon“, sagt Sven Till.

Das „Etage“-Quartett kam mit ganz klaren Vorstellungen in die „fabrik“, in der nun neun Vorstellungen von „Flight cancelled“ zu sehen sind. Die Geschichte des selbstentwickelten Stückes ist schnell erzählt. Ort der Handlung ist ein Flughafen, auf dem nichts mehr geht. Vielleicht wird er gerade bestreikt. Jedenfalls treffen dort vier Menschen aufeinander, „ziemlich krasse Charaktere“, wie Philipp Siefert meint. Der 22-Jährige spielt darin den Manager-Typen: sehr steif, sehr adrett, sehr effizient. Er hat immer den großen Plan im Kopf und natürlich geht nichts ohne sein Handy. „Durch die Geschlossenheit von außen sind die Figuren nach innen geworfen und brechen ihre stereotypen Charaktere auf.“ Die anderen spiegeln diesem Manager seine Macke wider: in einer Handy-Jonglage. Schließlich wird dieser eingeschnürte Geschäftsmann immer lockerer und entdeckt selbst das Spielerische in sich.

Der Stein des Anstoßes, der Bewegung in den Stillstand bringt, ist das überbordende Gepäck von Anna, der Weltenbummlerin, die immer alles bei sich haben muss. Durch ihre Offenheit geraten auch die anderen aus ihrer Reserve. Statt die Wartezeit sinnlos zu verplempern, wachsen sie aneinander. Jakob, der Melancholiker, der auf der Reise eine traurige, ungenannte Erfahrung hinter sich lassen möchte, taut ebenso auf wie der fast autistische dritte Mann im Bunde, dessen Bälle nicht von Hand zu Hand, sondern in andere Bahnen fliegen. Diesem introvertierten Reisenden gibt Philipp Begelspacher Kontur. Er ist erst später zu „Triplex“ gekommen und „sehr sehr cool“, wie seine Mitstreiter schwärmen. Er gehört in dieser Produktion fest dazu, will sich aber nicht für die Zukunft binden.

Die Vier bieten also kein Nummernprogramm für den schnellen Applaus. Ihre Techniken sind Mittel zum Zweck, um Bilder entstehen zu lassen, Strukturen zu zeigen. Sie formen Charaktere und führen sie zueinander. So wie sie selbst zueinandergefunden haben. „Ein Artist ist kein Einzelkämpfer. Er lernt, in der Gruppe zu agieren. Man muss sich anfassen, stützen, miteinander klarkommen, Vertrauen aufbauen. Dabei entwickelt man selbst einen ausgeprägten Charakter. Wir sind durchaus nicht immer einer Meinung“, sagt Philipp Siefert und erntet prompt Widerspruch, als er selbstbewusst meint: „Wir haben ein Niveau, wie nicht viele Gruppen in Deutschland“. Jakob Feldtkeller mag es lieber etwas bescheidener. Er spricht von der großen gemeinsamen Spielfreude, die „Triplex“ ausmacht. Und mit der lassen sie so ziemlich alles fliegen, was ihnen in die Hände fällt: kraftvoll und mit Leichtigkeit – in dieser Show für die ganze Familie, in der die Gestrandeten ihre Träume leben, statt in Bewegungslosigkeit zu erstarren.

„Flight Cancelled“, am 30. und 31. März, jeweils 20 Uhr, am 1. April, 16 Uhr, „fabrik“, Schiffbauergasse, Karten an der Abendkasse 14 Euro, im Vorverkauf 12 Euro. Tel. (0331)240923

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