Kultur: Ziviler Ungehorsam gegen Verblödung
Hans Weingartner im Filmmuseum: Er attackiert das Fernsehen, die Vereinzelung, die Filmakademie
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Aus der angekündigten Diskussion wurde nichts: Stattdessen hielt der österreichische Regisseur Hans Weingartner, dem derzeit eine Retrospektive im Filmmuseum gewidmet ist, einen langen Monolog. Vorbehaltlos ließ er alle aufgestaute Wut heraus. Kein oberflächliches Geplänkel. Der Anarcho blieb ganz bei sich selbst: entwaffnend ehrlich und auch etwas selbstverliebt.
Was ihn am Donnerstag Abend vor allem in Rage brachte, war die Verdummung der Menschen durch das Fernsehen. Für seinen „durchgeknallten“ Film „Free Rainer“ setzte er sich selbst mehrere Wochen lang täglich vier Stunden vor die Glotze, um zu fühlen, was die Mehrheit der Deutschen über sich ergehen lässt. „Ich bin fast depressiv geworden. Solche Sendungen wie ,DschungelCamp“ sind ein furchtbares Experiment und Werte, die durch oberflächliche, monsterhafte Figuren in Daily Soaps vermittelt werden, sind geradezu gefährlich.“ Besonders empörte er sich, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen dem privaten kaum nachstünde, obwohl es durch Steuergelder finanziert einen Bildungsauftrag habe. „Aber schauen Sie nur mal zehn Minuten ,Sturm der Liebe“ und sie verlieren genauso viele Gehirnzellen, als wenn sie eine Flasche Wodka trinken. Die Öffentlich-Rechtlichen sind auf den Hund gekommen“, ereiferte er sich vor dem zahlreichen Publikum, das allerdings – vielleicht wegen der späten Stunde oder auch wegen der radikalen Gedanken – zum Teil den Saal verließ. Weingartner echauffierte sich, dass solche Filme wie „Der neunte Tag“ von Volker Schlöndorff – „eine kulturelle Meisterleistung“ – um 0.30 Uhr ausgestrahlt würden, während um 20.15 Uhr Hansi Hinterseer läuft. „Man möchte das alles einfach nur abschaffen.“
Er erzählte aus eigenem Erleben, wie versucht werde, Filmstoffe zu glätten. Bei seinem Kinofilm „Die fetten Jahre sind vorbei“, der vom Fernsehen mitfinanziert wurde, sollte er den Schluss umschreiben. Seine gegen die Diktatur des Kapitals zu Felde ziehenden jungen Filmhelden sollten am Ende im Gefängnis landen, um sich gegen die RAF abzusetzen. „Dieser Fernsehproduzent hatte den Film überhaupt nicht verstanden. Andererseits hingen an seiner Unterschrift 400 000 Euro.“ Für Weingartner eine vertrackte Situation, da er das Haus seiner Eltern mit einem Kredit von 200 000 Euro für diesen Film belastet hatte. „Zum Glück standen mir mehrere Kollegen zur Seite und konnten den Mann umstimmen, auch mit dem Androhen, sonst an die Öffentlichkeit zu gehen.“ Wenig später erhielt der Film den Deutschen Filmpreis in Silber.
Auch für seinen ersten großen Film „Das weiße Rauschen“, in dem Daniel Brühl den an Schizophrenie erkrankten Lukas spielt, fuhr der 37-Jährige Preise ein. Dabei war es für Hans Weingartner lange Zeit überhaupt nicht klar, dass er zum Film gehen würde. Nach der Matura jobbte er in Kanada als Ski- und Kanulehrer, studierte Physik und schrieb seine Abschlussarbeit in Neurochirurgie. 1991 begann er in Wien, Kamera zu studieren: „Aber das war damals ein trockener, staubiger Laden und mir viel zu eng.“ Auch aus Liebeskummer verließ der einstige Punk seine Heimat und ging nach Berlin. „Die anarchische Stimmung nach dem Mauerfall faszinierte mich. Man konnte Türen einbrechen und leerstehende Häuser besetzen. Es war ein völlig neuer Freiraum. Bis die Räumkommandos unter Jörg Schönbohm anrückten... Ich war damals 26. Es war Zeit zu überlegen, wie es weiter geht.“
Er landete an der Filmschule Köln und fand dort ein ganz anderes Flair vor als in Wien: „Die Professoren waren Alt-68er und total locker.“ Für seinen ersten Kurzfilm „Frank“ über eine multiple Persönlichkeit erhielt er viel Bestätigung. „Mir war er allerdings zu steif. Bei ,Das weiße Rauschen“ wollte ich alles anders machen. Diese Leidenschaft spürt man, aber Ton- und Bildqualität sind so schlecht, dass er sich schwer vermarkten lässt.“ Diesen Film drehte er gegen den Willen der Schule, da er die technischen Kapazitäten sprengte. „Aber sie waren dann doch froh, als er so erfolgreich wurde.“ Mit einem Mini-Etat von 20 000 Euro und einer Sieben-Mann-Crew machte sich Weingartner damals ans Werk. „Keiner hatte zuvor einen Film gemacht. Wir hatten überhaupt keine Regeln. Es wurde schließlich meine schönste Arbeit.“ Das Geld dafür bekam der Regisseur nur, weil er den Produzenten ein völlig falsches Drehbuch vorgelegt hatte. „Für den eigentlichen Stoff war keiner zu interessieren.“
Bei „Die fetten Jahre sind vorbei“ sei die Geschichte schon viel komplexer, „da hatten wir einen richtigen Plot und alle Figuren machen eine Wandlung durch.“ Auch darin erzählt er etwas von sich selbst. „Ich fühle mich der Idee der Französischen Revolution verbunden, dass die Menschen frei über ihr Schicksal verfügen können.“ Durch seine Filme möchte er zu zivilen Ungehorsam aufrütteln, den Leuten begreifbar machen, dass sie Dinge verändern können, wenn sie sich zusammenschließen. Er selbst war als junger Mann unterwegs mit „Guerillabanden“, schlug Löcher in Schnellstraßen, um darin Bäume zu pflanzen. „Auf den ersten Blick sinnlos, aber es kommt auf die Zahl an, die etwas macht.“ Weingartner will anecken und sucht Nachahmungstäter. Gegen die Vereinzelung in der Gesellschaft.
Mit „Free Rainer“ misslang der Versuch, die Nadelstiche richtig zu setzen. Er wollte in dem Film „den gefährlichen Verblödungspfad“ beschreiben, den das Fernsehen geht. Und das auf so unterhaltsame Art, dass es vor allem die Zuschauer in den Multiplex-Kinos erreicht. „Es war ein gigantischer Flop. Ich brauchte einige Monate, um das zu verkraften. Nur 150 000 Leute wollten ihn sehen. Ich habe 400 000 Euro verloren.“ Zudem kam die Enttäuschung, dass „Free Rainer“ nicht mal eine Vornominierung für den Deutschen Filmpreis erhielt. „Sicher ist das eine Retourkutsche, weil ich letztes Jahr den Mund zu weit aufgemacht habe.“ Jedenfalls erwäge er jetzt, wegen Kungelei der Produzenten, aus der Filmakademie auszutreten. So wie zuvor Till Schweiger.
„Es wird langsam eng für mich in Deutschland. Ich bin gerade etwas verzweifelt. Vielleicht muss ich künftig vermehrt im Ausland arbeiten.“ Und vielleicht wieder einen Film mit nur 20 000 Euro drehen. Dann besser ohne Spagat und wieder ganz bei sich.
Die Filme laufen morgen noch einmal.
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