Kultur: Zu spät gehörte Stimme
Lindstedter Gespräche der Urania / Mit einer wissenschaftlichen Konferenz wird im Dezember 2008 das Lepsius-Haus eröffnet
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Noch im Herbst 1925, wenige Monate vor seinem Tode, mietete der am Pfingstberg wohnende Theologe Johann Lepsius (1858 - 1926) die nahegelegene repräsentative Villa Henkel an, um dort die von ihm gegründete Deutsch-Armenische Akademie anzusiedeln. Dazu kam es nicht mehr, aber die Neugründung der Akademie zählt mehr als acht Jahrzehnte später zu den Projekten des Fördervereins Lepsius-Haus. Er baut gegenwärtig das ehemalige Wohnhaus des Theologen, der zum Anwalt der im Osmanischen Reich verfolgten armenischen Minderheit wurde, zu einer Begegnungs-, Erinnerungs- und Forschungsstätte aus. Diese soll Ende 2008 eröffnet werden.
Hier soll neben einer Ausstellung, dem Arbeitszimmer des Theologen, Veranstaltungsräumen und einer Bibliothek auch das an der Universität Halle-Wittenberg aufgebaute Lepsius-Archiv seinen Platz finden. Dies kündigte Prof. Hermann Goltz im letzten der diesjährigen „Lindstedter Gespräche“ der Urania im Schloss Lindstedt an. Der an der Hallenser Universität tätige Theologe entwarf vor der großen Zuhörerzahl ein fesselndes Bild vom Leben und Wirken Lepsius“ mit vielen interessanten Details, auch was seine Beziehungen zu Potsdam betrifft. So suchte er 1916 für seine Schrift „Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei“ vergeblich einen Verleger, ehe er ihn im kleinen Potsdamer Tempelverlag fand. Das Buch, das den Völkermord an den christlichen Armeniern öffentlich machte, wurde in Deutschland, dessen Verbündeter die Türkei war, verboten. 20 000 Exemplare waren aber bereits in den Umlauf gelangt. Das Buch machte Lepsius europaweit bekannt. Als Teppichfabrikant getarnt, hatte der junge Theologe aber bereits 1896, wo einem ersten Massaker etwa 300 000 Armenier zum Opfer fielen, die Türkei bereist und darüber die Anklageschrift „Armenien und Europa“ verfasst. Zudem leistete er von diesem Zeitpunkt an durch ein Netz von Hilfsstationen der verfolgten Minderheit praktische Hilfe. Als Vermittler zwischen den Großmächten schien Lepsius 1914 vor der Erfüllung seines Lebenwerks zu stehen. Russland, Deutschland, England und auch die Türkei unterzeichneten ein Vertragswerk über die Autonomie der armenischen Gebiete im Osmanischen Reich. Doch das Abkommen wurde beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs hinweggefegt. Unter dem Vorwand kriegsbedingter Deportationen begann der Genozid, bei dem 1,5 Millionen der zwei Millionen türkischer Armenier ums Leben kamen. Das Interesse für den Orient und die Verbindungen mit Potsdam wurzelten bei Lepsius im Elternhaus. Sein Vater Karl Richard Lepsius, Begründer der wissenschaftlichen Ägyptologie, hatte im Auftrag König Friedrich Wilhelms IV. 1842 bis 1846 eine groß angelegte Expedition in das Nilland unternommen, deren Funde zum Bau des Berliner Ägyptischen Museums führten. In Kairo wurde ihm der Weg von dem Armenier Nubar Pascha geebnet, der dann zum ägyptischen Außenminister aufstieg. Lepsius, der 1907 mit seiner Familie nach Potsdam in das Haus Große Weinmeisterstraße 45 zog und dort bis zu seinem Tode wohnte, hatte den langjährigen Vertrauten der Familie als Zaren für das unabhängig gewordene Bulgarien empfohlen und dafür die Unterstützung von Bismarck gesucht.
So wie Deutschland, um seinen Kriegsverbündeten zu decken, 1915 gegen Lepsius vorging, so bekennt sich die offizielle Türkei noch heute nicht zu diesem Völkermord. Aus Furcht vor einer Belastung der diplomatischen Beziehungen verhalten sich auch die USA und Israel in dieser Frage zögerlich. Hermann Goltz sieht aber durchaus Fortschritte auf dem Weg zur historischen Wahrheit.
So ist der auf den Veröffentlichungen von Johannes Lepsius aufbauende berühmte Roman Franz Werfels „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ über die Armenierverfolgung jetzt auch in Israel und sogar in der Türkei (der Herausgeber wurde allerdings vor Gericht gestellt) erschienen. Israel hat inzwischen ein ganz neues Interesse an Lepsius entdeckt. Der hatte nämlich in seiner Zeit als Hilfsprediger in Jerusalem (1884 - 1886) einem alkoholkranken und suizidgefährdeten jungen Poeten wieder Lebensmut gegeben. Später schrieb dieser Mann, Naphtali Herz Imber, das Lied Ha-Tikvah, heute Israels Nationalhymne. Solche Anekdoten konnte Hermann Goltz im Lindstedter Gespräch im Dutzend aus dem Ärmel schütteln.
Wichtig aber auch für die Gegner des „Anwalts des armenischen Volkes“ das Resumee: Johannes Lepsius ging es in seinem Lebenskampf nicht vorrangig um religiöse Fragen, etwa die Missionierung der Muslime, sondern vielmehr um die Achtung der Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten. Damit legte er auch einen Grundstein für das heutige Flüchtlingshilfswerk der UNO. In diesem Geiste soll am 15. Dezember 2008, dem 150. Geburtstag von Johannes Lepsius, die Internationale Konferenz zur Eröffnung des Potsdamer Lepsius-Hauses stattfinden. „Selbstverständlich werden dazu auch türkische Wissenschaftler eingeladen“, bekräftigte Prof. Goltz gegenüber den PNN.
Erhart Hohenstein
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