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Kultur: Zuckerbrot und Peitsche

Richard Schröder sprach über die „Entchristlichung in der DDR“ in der Villa Arnim

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Richard Schröder sprach über die „Entchristlichung in der DDR“ in der Villa Arnim Von Klaus Büstrin Während eines Gesprächs zwischen kirchenleitenden Männern und dem Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, soll dieser im Januar 1964 dem damaligen Superintendenten des Kirchenkreises Reinhard Steinlein wegen seiner kritischen Einstellung gegenüber der DDR gesagt haben: „ Sie scheinen es nicht zu wissen, dass Sie zu den Leuten mit den meisten roten Strichen in der DDR gehören. Bedenken Sie: In der Französischen Revolution rollten die Köpfe von tausenden Geistlichen.“ Die SED-Führung war bei der evangelischen Kirche stets mit Zuckerbrot und Peitsche schnell zur Stelle, vor allem bei den Kirchenleuten, die sich nicht anpassen wollten. Im März 1978 fand aber ein „Gipfeltreffen“ zwischen Erich Honecker und Mitgliedern des Kirchenbundes statt. Dabei wurden von Bischof Albrecht Schönherr Defizite im Verhältnis Staat-Kirche angemahnt. Wichtig wurde im Gespräch der Satz des Bischofs: „Das Verhältnis von Staat und Kirche ist so gut. wie es der einzelne christliche Bürger vor Ort erfährt.“ Über den Versuch der SED, ihr Land DDR zu entchristlichen, sprach am Mittwochabend in der Villa Arnim der renommierte Theologe Prof. Richard Schröder, der an der Humboldt-Universität Berlin Philosophie und Systematische Theologie lehrt. Der Vortrag fand innerhalb der Theologischen Reihe der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam e.V. statt. Das Interesse an dieser Veranstaltung war sehr groß, so dass der Platz im Vortragsraum längst nicht reichte. Es kamen Potsdamer, die aus eigener Anschauung den Absolutheitsanspruch der SED erleben mussten, solche, die sich als Christen dagegen zur Wehr setzten. Unter den Zuhörenden waren viele Neu-Potsdamer, die ihr Wissen in diesem Bereich erweitern wollten. Die Fragen der Zuhörer an Schröder drehten sich dann vor allem um Manfred Stolpe, der als Konsistorialpräsident Kontakte zur Staatssicherheit „pflegte“. Richard Schröder hat das Thema Stolpe eigentlich nur als Marginalie behandelt. Aber man spürte in dieser Veranstaltung, dass der „Fall Stolpe“, mit dem sich die Kirche nach 1990 beschäftigten musste, noch nicht vom Tisch ist. An der Frage, ob und wieweit die Kirche dem Staat entgegenkommen musste, schieden und scheiden sich seither die Geister. Schröder wies darauf hin, dass Stolpes Argument war, nur der direkte und vertrauliche Kontakt mit der Staatssicherheit habe der Kirche notwendige Freiräume gesichert. Richard Schröder, der selbst als Gemeindepfarrer fungierte, konnte aus eigenen Erfahrungen über das Verhältnis Staat-Kirche sprechen. Nicht nur als Abrechnung mit der Diktatur DDR hat er den Vortrag gehalten, sondern mit einem notwendigen historischen Rückblick. Und so begannen seine Ausführungen im Jahre 1945, wo 90 Prozent der Bevölkerung noch der evangelischen Kirche angehörte. Schröder betonte, dass die russische Besatzungsmacht den Kirchen gegenüber nicht feindlich gesonnen war. Die Gemeinden seien beispielsweise von der Bodenreform ausgenommen gewesen, die Ausbildungsstätten bekamen Lehrerlaubnis. Im Jahr 1953 nahmen die Repressalien gegen Christen von Seiten der SED-Führung aber stark zu. Der Hauptstoß richtete sich gegen die kirchliche Jugendarbeit und gegen die Studentengemeinden. 70 kirchliche Mitarbeiter wurden inhaftiert und 3000 Schüler von den Oberschulen gewiesen, diakonische Einrichtungen enteignet. Nach Stalins Tod 1953, so Schröder, kam von der Sowjetunion die Aufforderung an die SED, dass der Kampf gegen die Kirche eingestellt werden müsse. Doch ein neuer Konflikt bahnte sich schon 1954 an: die Jugendweihe. Der Einfluss der Kirche auf junge Leute sollte zurück gedrängt werden. Die Kirche erklärte die Unvereinbarkeit von Konfirmation und Jugendweihe. Im Jahre 1969 gründete sich der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, da die Kirchen in beiden Teilen Deutschlands jeweils für sich agieren mussten. So mancher in der Kirchenleitung war der Ansicht, man müsse sich ganz in die Situation begeben, in die man hinein gestellt sei. Die Loyalitätsformel „Kirche im Sozialismus“ wurde geboren. Darüber diskutierten die evangelischen Christen sehr heftig. Alle Nachgiebigkeit gegenüber staatlichen Forderungen, so Schröder, habe aber der Kirche wenig genutzt. Die Behinderungen des kirchlichen Lebens gingen unvermindert weiter. Ein „Dauerbrenner“ war die Veranstaltungsordnung, bei der es je nach Laune, mal Erleichterungen, mal Verschärfungen gab. Welche Veranstaltungen waren anmeldungspflichtig, welche sogar genehmigungspflichtig? Natürlich kam der Referent auch auf die Zeit von 1989 zu sprechen, wo viele Kirchen als „Mutter der Revolution“ bezeichnet wurden. Denn das Gotteshaus war der einzige Freiraum in der DDR, wo man das oppositionelle politische Gespräch führen konnte. Aber die vollen Kirchen waren schließlich nur eine optische Täuschung. Viele Menschen, die sich damals noch zu den Andachten einfanden, waren 1990 nicht mehr in den Gemeinden zu sehen. Das dikatorische Prinzip Zuckerbrot und Peitsche hatte für die Kirche ein Ende. Jetzt gab und gibt es aber neue Probleme. Mit der Entchristlichung von DDR-Bürgern hat man bis heute zu tun. Schon allein das Wissen darüber, dass unser tägliches Leben mit dem Jahrtausende alten Christentum zu tun hat, ist bei vielen gleich Null. Übrigens gehen sie darin mit vielen Menschen, die in der eher christlich geprägten alten Bundesrepublik leben, fast konform. Aber darüber wurde schon nicht mehr gesprochen, eher davon, dass wieder viele Eltern ihre Kinder taufen lassen wollen.

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