Kultur: Zum Abreißen hässlich?
Heute wird die Ausstellung „Licht, Luft und Liebe“ des Metropolar-Festivals im „sans titre“ eröffnet
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Verbissenheit ist ihnen fremd. Die Initiative „Metropolar“ bevorzugt als Gegenstück zu „Mitteschön“ die leise, heitere Argumentation, um auf die unermüdliche „Barockisierung“ in Potsdam hinzuweisen. Ihr Festival „Wird die Erbschaft abgelehnt? (Ost)moderne in Potsdam und anderswo“, das in den kommenden drei Tagen mit Film, Bildender Kunst und Musik für das bauliche Erbe der DDR sensibilisieren will, sieht sich als Augenöffner. „Wir wollen den herrschenden Schönheitsbegriff infrage stellen, der alles, was geschnörkelt ist, adelt“, sagt Tom Korn, einer der Aktivisten.
Der Künstler zeigt in der heute Abend eröffnenden Ausstellung „Licht, Luft und Liebe“ in den dazu passenden, ostigen Räumen vom Kunsthaus „sans titre“ ein Wandobjekt aus Holz und Teppich. Es bezieht sich auf das ehemalige Terrassenrestaurant „Minsk“ am Brauhausberg, das zur Freude der „Metropolar“-Aktivisten wieder verstärkt Fürsprecher für seinen Erhalt findet.
Die seit gut zwei Jahren agierenden „Metropolitaner“ – Historiker, Architekten, Künstler und andere Potsdamer Urbanisten – wollen polarisieren und die Metropole hinterfragen. „Um in den vehement betriebenen Stadtrückbau Potsdams einzugreifen, kommen wir leider 20 Jahre zu spät. Der wurde schon 1991 beschlossen. Wir können nur sagen: Schaut Euch dieses oder jenes Haus noch einmal an, bevor es verschwindet.“ Wie das Haus des Reisens am Platz der Einheit, in dem sie gern eine Aktion gemacht hätten, als die Abrissbagger noch nicht angerollt waren. „Doch die Gewoba hat es uns nicht erlaubt. Wie kaum eine andere ostdeutsche Stadt tut sich Potsdam schwer mit dem baulichen Erbe der DDR. Die Debatten waren meist emotional und unversöhnlich, die Lösung radikal: Abriss“. Als der Kölner Tom Korn 2004 das erste Mal für längere Zeit nach Potsdam kam, war er beeindruckt von der Bebauung am Kanal, die sich bis zur Fachhochschule fortsetzte, von der „großartigen Mischung“ Ostmoderne und Barock. „Es wäre spannend gewesen, wenn das Schloss mit der Fachhochschule in Verbindung gebracht und sich die Zeitschichten verwoben hätten“, so der 43-Jährige.
„Metropolar“ bietet Leuten ein Forum, die die rigorose Veränderung ihrer Stadt bewegt. „Wir fragen: ,Ist dieses Haus schlecht genug, dass man es wegreißt?’“, so Tom Korn. Die von zahlreichen Aktionen begleitete Ausstellung, in der 14 Künstler die Nachkriegsmoderne interpretieren, spielt frech und frisch mit diesem sperrigen Thema „Ostmoderne“. Da gibt es bereits an der bröckelnden Fassade von „sans titre“ ein riesiges Banner, auf dem Neubaufassaden gezeichnet sind, die mit fotografierten barocken Schmuckelementen aus Potsdam aufgepeppt wurden.
Die Hamburger Künstlerin Margit Czenki weint in ihrer Installation „Kometen – Kartoffeln – die Schönheit der Plattenbauten“ dem Abriss von Hochhäusern im Dresdener Stadtteil Prohlis nach: „Ein Ort für Familien, wo es sich durchaus gut wohnen ließ“, wie sie es selbst ausprobierte. „Als erstes verschwanden die großen Mosaike an den Fassaden und nahmen den Häusern die Gesichter. Für die neuen privaten Eigentümer ein ideologischer Akt, denn die Auftragswerke der Staatskünstler mussten weg.“ Margit Czenki konservierte Motive aus Prohlis in Kleidern, druckte das verschwundene Mosaik „Blume der Revolution“ auf einen Rock, schneiderte ein Plattenbauhemd. „Ich fand es in Prohlis wie in den Ferien, spürte nichts von dem bewusst geschürten schlechten Image.“
Dem „Bommel-Glück“ kann man einen Raum weiter begegnen. Die zwei Frauen vom „Bommelbüro“ aus Flensburg werkeln seit Tagen an zwei Doppelstockbetten aus Hunderten von selbstgemachten Wolle-Bommeln. Diese luftig, fast himmelbettmäßig wirkenden Bommel-Betten erinnern kaum noch an die dunklen knarrenden Jugendherbergsmöbel. Sie sollen das Leben im Neubau symbolisieren, wo vieles dicht aufeinander passiert: In einer künstlerischen Persiflage, gemütlich beleuchtet und eben bommelig nett.
Eröffnet wird die Ausstellung mit Musik des Soundtüftlers Tokyoufo aus Kopenhagen. Er malt Architektur- zu Soundlandschaften und reichert seine Tracks mit Geräuschen des leergezogenen Teils der Fachhochschule an: Wind im Fenster, das Knattern der vorbeifahrenden Straßenbahn.
Was aber macht „Metropolar“, wenn die Innenstadt vom Osten „befreit“ ist und bis auf die Seerose und die Plattenbauten in der Breiten Straße nichts mehr an ihn erinnert? „Dann gehen wir vielleicht zum Schlaatz“, so der in Potsdam–West lebende Tom Korn, der sich durchaus vorstellen könnte, auch in der Platte zu wohnen.
Im Oktober geben die metropolaren Erbwächter das Buch „Ostmoderne in Potsdam und anderswo“ heraus. Alle Potsdamer sind aufgerufen, zum jetzigen Festival die schönsten Architekturbeispiele aus ihren privaten Fotoalben mitzubringen, die gleich vor Ort für das Metropolar-Archiv eingescannt werden.
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