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Kultur: Zum Tod der Dichterin Christa Reinig

Schwarzer Humor als Lebenselixier prägte noch ihr letztes Buch. „Exzentrische Anatomie“ lautete der Untertitel von Christa Reinigs philosophischen Betrachtungen „Das Gelbe vom Himmel“.

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Schwarzer Humor als Lebenselixier prägte noch ihr letztes Buch. „Exzentrische Anatomie“ lautete der Untertitel von Christa Reinigs philosophischen Betrachtungen „Das Gelbe vom Himmel“. Sie waren 2006 in der Düsseldorfer Eremitenpresse erschienen. Ein schwerer Treppensturz hatte 1971 Christa Reinigs Bechterew-Leiden verschlimmert, so dass sie mit einer schmalen Schwerbehinderten-Rente auskommen musste.

Die künstlerische Aktivität der laut Karl Krolow „rigorosen Dichterin“ blieb dennoch ungebrochen. Seit Anfang des Jahres wurde sie in einem Münchner Pflegeheim der Diakonie betreut. Dort ist Christa Reinig, wie erst jetzt bekannt wurde, am 30. September im Alter von 82 Jahren gestorben. Ebenfalls in V. O. Stomps legendärer Eremiten-Presse hatte sie bereits 1970 „Das große Bechterew-Tantra“ zur grimmigen Anbetung freigegeben – immer noch das starke schnoddrige Talent, das einst Bertolt Brecht erkannt und ermutigt hatte.

Ende der vierziger Jahre debütierte die am 6. August 1926 geborene Berlinerin in der satirischen DDR-Zeitschrift „Ulenspiegel“. Mit der „Ballade vom blutigen Bomme“, die Walter Höllerer in seiner Anthologie „Transit“ vorstellte, machte sie 1956 auch im Westen auf sich aufmerksam. In der DDR erhielt sie daraufhin Publikationsverbot. Dabei stellte die Tochter einer ledigen Aufwartefrau ein Bildungsideal ihres Staates dar; an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät holte sie das Abitur nach. Sie studierte Kunstgeschichte und Archäologie an der Humboldt-Universität und ging ans Märkische Museum in Berlin. Schon früh hatte die rebellische „Selbstdenkerin“ Christa Reinig Kontakte in den Westen geknüpft und sich den „ruhelosen Dichtern der Zukunftssachlichkeit“ in West-Berlin angeschlossen. 1960 erschien bei S. Fischer in Frankfurt ihr Gedichtband „Finisterre“, dann die Erzählung „Der Traum meiner Verkommenheit“, wie sich Lyrik und Prosa bei Reinig ohnehin produktiv durchdrangen. Als ihr 1964 der Bremer Literaturpreis verliehen wurde, blieb sie im Westen und ließ sich in München nieder. Der allegorisch-metaphorische Charakter ihrer Literatur zeigte sich in „Die Schiffe“ oder „Orion trat aus dem Haus. Neue Sternbilder“.

Als Schriftstellerin von Rang stellte Christa Reinig eine Ausnahme dar; der Literaturbetrieb reagierte allzu oft mit Sensationslust und Marginalisierung. Als sie 1999 den Brandenburgischen Literaturpreis erhielt, war es bereits still um sie geworden. Christa Reinigs Stimme, ihr auf vertrackte Weise lebensbejahender Sarkasmus, werden fehlen: „Die leute leben / ohne uns / und wir zerbrechen / uns den kopf“. Katrin Hillgruber

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