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Kultur: „Zunehmend von Bedeutung“

Der Historiker Dr. Jochen Laufer über das Potsdamer Abkommen und seine Hintergründe

Der Historiker Dr. Jochen Laufer über das Potsdamer Abkommen und seine Hintergründe Heute vor 60 Jahren wurde die Potsdamer Konferenz in Schloss Cecilienhof beendet. Die Regierungschefs von Großbritannien, der Sowjetunion und den USA hatten sich in Potsdam getroffen, um Regelungen zur Bewältigung der Nachkriegsprobleme zu treffen. Wie sind die Ergebnisse der Konferenz zu werten? Die PNN sprachen mit dem Historiker Dr. Jochen Laufer vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), der auch Mitherausgeber der Edition „Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1948“ ist. Herr Dr. Laufer, das Potsdamer Abkommen war eigentlich „nur“ ein Protokoll. Seit 60 Jahren gibt es eine Diskussion über diese Frage. Im Osten sind die Ergebnisse der Konferenz immer sehr hochgehoben worden. Es wurde betont, dass es sich um ein Abkommen gehandelt hat, obwohl bekannt war, dass ein Protokoll und kein Abkommen verfasst wurde. Die Beschlüsse der Konferenz sind in diesem Protokoll fixiert worden, darunter auch verschiedene Vereinbarungen, unter anderem eine über „Die politischen und wirtschaftlichen Grundsätze in der Behandlung Deutschlands während der Kontrollperiode“, auch die Reparationsregelung wurde in einer Vereinbarung festgehalten. In der Presse war 1945 anfangs immer von der „Berliner Konferenz“ die Rede. Die Kriegskonferenzen der großen Drei begannen 1943 in Teheran. Im Februar 1945 wurde in Jalta davon gesprochen, diese Konferenzen fortzusetzen. Es wurden aber keine organisatorischen Schritte eingeleitet. Erst als nach dem Krieg Konflikte auftauchten, kam die Idee einer Konferenz wieder hoch. Sowohl auf britischer wie auch auf sowjetischer Seite sah man sich als Vater dieser Idee. Berlin war als gemeinsamer Treffpunkt eine logische Konsequenz, war doch Berlin das politische Zentrum Deutschlands, wo die letzte große Schlacht des Krieges stattgefunden hatte. Für die Sieger war es ein Triumph, sich an der Machtzentrale des geschlagenen Gegners zu treffen. Doch Berlin war für ein solches Treffen zu stark zerstört. Der sowjetische Oberbefehlshaber Marschall Schukow schlug Potsdam vor, das repräsentative Bauten und Platz für die großen Delegationen bieten konnte. Viele Beobachter waren seinerzeit nach dem Ende der Konferenz eher ernüchtert. Die Konferenz war aus einer Konfliktsituation hervorgegangen. Es war nicht einfach, zu festen, bindenden und langfristigen Beschlüssen zu kommen, dass es dennoch gelang, war überraschend. Jede Wertung „Potsdams“ hängt von den politischen Vorhaben ab, die Beobachter und Politiker damit verbanden. Aus westlicher Sicht stellte sich schnell heraus, dass sich westliche Politik – und sie war schon damals zu allererst durch die Interessen der USA geprägt – weder in ganz Deutschland noch im ganzen Europa verankern ließ. Die sowjetische Seite wertete dagegen die Konferenz schon unmittelbar nach ihrem Abschluss als Erfolg, da die Konferenzbeschlüsse in das Konzept der sowjetischen Politik passten, das zu allererst auf den Teil Deutschlands und Europas zielte, der sich schon unter sowjetischer Kontrolle befand. Die „Rekonstruktion des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage“ war aber ein Punkt der Beschlüsse. Die drei Regierungschefs konnten sich relativ schnell auf den Begriff Demokratie einigen. Es stellte sich erst hinterher heraus, dass Ost und West verschiedene Konzepte damit verbanden. In Potsdam wurde ein Minimalkonsens gefunden, der sehr gut zur langfristigen Besatzungspolitik der Sowjetunion passte, die gemeinsam mit KPD und SPD die Enteignung der Banken, der Großgrundbesitzer – alle Bauern mit mehr als 100 Hektar Bodenbesitz – und des Industrieeigentums der „Nazi- und Kriegsverbrecher“ vorantrieb und schon 1946 die Schaffung von „Volkseigentum“ begann. Der Kalte Krieg schwelte bereits bei dem Treffen in Cecilienhof? Der Terminus „Kalter Krieg“ ist erst in der Nachkriegszeit entstanden. Was sich dahinter verbirgt, die Spannungen und Gegensätze zwischen den bürgerlichen Demokratien im Westen und der Einparteienherrschaft im Osten, hatten aber schon lange vor 1945 begonnen. Die Systemkonfrontation war eine Folge der Oktoberrevolution. Sie bekam eine neue Qualität, als die Sowjetunion von einer isolierten Macht der zwanziger und dreißiger Jahre durch den Zweiten Weltkrieg zu einer Weltmacht wurde, die mit der Roten Armee über die stärkste Landstreitkraft der Welt verfügte, und Politik außerhalb ihrer Grenzen zu betreiben begann. Die Teilung Deutschlands in vier Besatzungszonen, die Abtrennung der Ostgebiete mit der folgenden Vertreibung – sind das die Dinge, die unterm Strich von der Konferenz bleiben? Die Konferenz hatte eine Vorgeschichte. Die Siege der Armeen, und insbesondere der Roten Armee, steckten den Rahmen ab, innerhalb dessen die Regierungschefs entscheiden konnten. Schon vor den Konferenzen in Jalta und Potsdam war zwischen 1941 und 1944 zunächst die Abtrennung der deutschen Ostgebiete, dann die zwangsweise Aussiedlung der dort und in der Tschechoslowakei lebenden Deutschen und schließlich 1944 die getrennte Besatzung Deutschlands durch die Streitkräfte der USA, Großbritanniens und der UdSSR vereinbart worden. Die Besatzer sollten in zunächst drei, später vier Zonen – erst nach Jalta kam Frankreich hinzu – die oberste Macht ausüben. Hätten Frankreich und Großbritannien zwischen 1939 und 1941 die Siege über Deutschland erzielt, die die Rote Armee seit Anfang 1943 – Stalingrad! – mit enormen Menschenopfern erkämpfte, hätte es möglicherweise auch eine Potsdamer Konferenz gegeben, doch ganz sicher ohne gleichberechtigte Beteiligung der UdSSR. Durch die späten und vergleichsweise schwachen Siege der Westmächte war vorentschieden, dass große Teile Europas und Deutschlands durch sowjetische Streitkräfte von der nationalsozialistischen Herrschaft befreit werden mussten. Die Potsdamer Konferenz war dann letztendlich der Versuch, die vollendeten Tatsachen, die bereits geschaffen worden waren, nachträglich zu regeln bzw. zu modifizieren. Ihre Einschätzung der Ergebnisse von Potsdam? Nach 60 Jahren hat sich die Bewertung der Potsdamer Konferenz geändert. Jahrestage provozieren neues Nachdenken. Heute wird klarer, dass die Potsdamer Konferenz viel größere Bedeutung hatte, als sich nicht nur die Deutschen, sondern auch die westlichen Siegermächte zunächst eingestehen wollten. Heute sehen wir, dass von „Potsdam“ über die Fragen der Grenzregelung und Vertreibung – und das waren für die Deutschen die schwerwiegendsten und schmerzhaftesten Elemente der Konferenz – hinaus sehr viel mehr Bleibendes bewirkt wurde. Zwar ist unbestreitbar, dass die Konferenz Ergebnisse geschaffen hat, die nicht endgültig waren, sondern nur zeitweilig bestanden: Die DDR war auch eine Folge der Potsdamer Konferenz, ebenso die Anerkennung des vorherrschenden Einflusses der UdSSR auf die Staaten in Osteuropa. Aber die Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher und die Denazifizierung sind bis auf absehbare Zukunft bleibende Ergebnisse, die ohne „Potsdam“ schwerer durchsetzbar gewesen wären. Eines der Ziele der Besatzung Deutschlands, die in Potsdam von Truman, Atlee und Stalin vereinbart wurden, erweist sich langfristig als besonders wirkungsstark. Ich zitiere: Das deutsche Volk muss davon überzeugt werden, „dass es eine totale Niederlage erlitten hat und sich nicht der Verantwortung für das entziehen kann, was es selbst über sich heraufbeschworen hat ...“ Wichtige Vorhaben wie eine gemeinsame Verwaltung und die wirtschaftliche Einheit blieben aber auf der Strecke. Das ist richtig und die Ursachen lassen sich schnell benennen. „Potsdam“ war keine Friedenskonferenz. Es wurde dort weder mit noch über eine deutsche Regierung gesprochen, ohne die die Wirtschaftseinheit eines äußerst stark zerstörten Landes, mit widerstrebenden Interessen in den einzelnen Zonen, Ländern und Regionen nicht erhalten werden konnte. Ebenso wichtig wie dieses „Potsdamer“ Versäumnis war die Nichtbeteiligung Frankreichs an der Konferenz. Von Frankreich ging nach „Potsdam“ der stärkste Widerstand gegen deutsche Zentralverwaltungen aus. In der BRD und der DDR wurde sehr unterschiedlich mit der Erinnerung an das „Potsdamer Abkommen“ umgegangen. Dafür waren zunächst die Besatzungsmächte verantwortlich. Die Potsdamer Beschlüsse, die die Grenzziehung im Osten und die „geordnete Umsiedlung der deutschen Bevölkerung“ betrafen, waren und bleiben für alle Deutschen, egal welcher Parteirichtung, sehr schmerzhaft. Östlich der Elbe unterband die Sowjetische Militäradministration jede Kritik an diesen Beschlüssen. In den Westzonen ließen die Besatzungsmächte seit etwa 1946 Kritik an der Grenzziehung und der Vertreibung zu. Erst in dem Maße wie in Ost und West seit den 70er Jahren die Kapitulation der Wehrmacht und der Untergang der Naziführung als Befreiung, das heißt als Chance für eine Umkehr begriffen wurde, konnten die Teile von „Potsdam“ erkannt werden, die schon seit 1945 eine Neuausrichtung der deutschen Entwicklung ermöglichten. Wird das „Potsdamer Abkommen“ in den nächsten Jahrzehnten überhaupt noch von Interesse sein? Meine Prognose: sehr wohl und zwar zunehmend! Nur auf der Basis des in Potsdam gefundenen Minimalkonsenses zwischen den Siegern des Zweiten Weltkrieges war und ist ein vertrauensvolles Zusammenleben der Deutschen nicht nur mit eben jenen Siegern, sondern auch mit ihren Nachbarn, vor allem den Polen und den Tschechen, möglich. Und deshalb wird jeder Fortschritt der europäischen Integration die Bedeutung der Potsdamer Beschlüsse erhöhen. Das Gespräch führte Jan Kixmüller Dr. Jochen Laufer (48) ist seit 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZZF. 1990/91 engagierte er sich in den Bürgerkomitees für die Aufdeckung der Strukturen und der Arbeitsweise der Stasi.

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