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Potsdamer Localize-Festival: Zurück im Bahnhof

Vier Tage „Localize, das Festival für Stadt, Kultur und Kunst“ im Bahnhof Pirschheide und 2000 Besucher kamen

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So ein altgedienter Potsdamer wie unsereiner hat im Laufe der Jahre glatt vergessen, wie das mit dem ehemaligen Hauptbahnhof an der Pirschheide war. Die Schalterhalle mit den Hallenschaltern ist noch einigermaßen in Erinnerung. Linkerhand ging es – stimmt das? – zu den Toiletten und zur Gaststätte namesn „Mitropa“ mit ihrem Discount-Angebot, geradeaus und treppauf zu den wichtigsten Bahnsteigen zwischen Werder und Karlshorst. Aber waren da auf dem Vorplatz nicht ein Blumengeschäft, ein Haus zum Gepäckabholen, der Intershop? Zu lange her. Längst hat die 2008 stillgelegte Anlage einen neuen Besitzer, der im Herbst hier einen „Club“ eröffnen will. Vom Donnerstag bis zum Sonntag hatten alle Potsdamer dank des ortstreuen Vereins „Localize“ noch einmal Gelegenheit, die alten Gemäuer des einst so stark frequentierten Bahnhofs am westlichen Stadtrand im Geist von heute zu besichtigen und dabei Installationen und Diskussionen, Konzerte, Filme und Performances zu erleben.

Am Entree war zuerst mal ein ganz kleiner Obolus zu entrichten, „Localize“ hatte ja Aktivisten von Berlin über Köln und Danzig bis nach Taiwan eingeladen. Einheimische, etwa vom Stadtteilnetzwerk Potsdam-West, waren auch dabei, das war zum Nulltarif nicht zu stemmen. Die Schalterhalle selbst macht renovierungstechnisch nicht den frischesten Eindruck. Sie diente in den vier Tagen unter dem diesjährigen Motto „Zug um Zug“ als Ausstellungsraum für allerlei Erfindung und Bastelwerk, zum Beispiel ein ins Nichts führender Bogen, der DNS, Himmelsleiter oder sonst etwas assoziieren soll, oder ein Haus, fast nur aus Altbaufenstern gebaut. Interessanter war, wie ein junger Mann die US-Drohnenangriffe in Pakistan 2011 sichtbar gemacht hat, oder wie sich „Schere-Stein-Papier“ auf Zeichenblättern gegeneinander bekämpfen – einer verliert dabei immer. Anderes war zum Vorbeigehen oder einfach nur zum Vergessen. Seitdem man den Leuten eingeredet hat, dass alles Kunst und jeder ein Künstler sei, ging es mit der Kunst ja nur noch bergab. Auf der Haupttreppe, hinter der man nicht weiterkam, war ein dunkles Kabuff aufgebaut, darinnen eine Lichtinstallation – das Produkt seiner eigenen Schritte, die von einer Kontaktplatte her in Lichtsignale umgewandelt wurde, wie originell. Niemand bestreitet ja die unbändige Kreativität und Spiellust junger Leute, doch hat das oftmals mit Kunst herzlich wenig zu tun. Kunst greift immer auch nach der Seele. Was bei dieser Lichtinstallation aber wohl kaum der Fall sein kann.

Linkerhand ging es nun in Richtung der nach Jüterbog führenden Gleise. Diesmal war treppabwärts Schluss, zugemauert der Durchgangstunnel mit reinweißen Ziegeln. Darüber eine Filmleinwand mit Spots, „das Warten“ zeigend. Kein Motiv, nichts. Wie billig, das sind doch die allerersten Etüden für Schauspiel-Eleven! Davor war ein junger Mann mit Atemschutz dabei, eine Graffiti-Stadt mit Monsterwald, Baukasten-Vierteln und echtem Roboterkrieg zu schaffen, sehr eindrucksvoll, auch wenn man über einen stinkfaulen, querliegenden Hund steigen musste. Auf dem Rückweg zur Schalterhalle konnte man den Ausführungen der „Ausstellungsbegleitung“ lauschen, die vielen Interessenten alles erklärte. Das Interesse (auch älterer Besucher) war also da, Verständnis für all die Werke auch. Die Veranstalter, die mittlerweile zum sechsten Mal schon ungenutzte Orte oder Gebäude dieser Stadt entdecken und für ein paar Tage mit Leben und Kunst erfüllen, waren ja mit den Besucherzahlen zufrieden. 2000 Besucher kamen an den vier Tagen. Obwohl der Ort des Geschehens nicht so kommod zu erreichen war wie im Vorjahr, als „das Festival für Stadt, Kultur und Kunst“ den ausgebuddelten Kanal lebendig machen wollte. Mit Potsdams Neugier kann man offenbar immer und überall rechnen.

Wieder auf dem Vorplatz, kam man nicht an einer Litfaßsäule vorbei, die rundum foulende Kicker zeigte. „Fair play“ als Titel dieses Tapeten-Entwurfs. Im alten Blumenladen dann ließen Potsdamer Videoleute hinter der Schaufensterscheibe animiertes Säckl und Gepäckl hübsche Reigen tanzen. Am Stand der Kölner „Spuks“ aber waren Tüten namens „Ordnung“ oder „Aufbruch“ zu haben. Darin befanden sich Wortfragmente auf Magneten, dazu erdacht, eigene Botschaften daraus zu basteln und sie an geeignete Flächen zu pinnen. Und die anderer Leute ganz demokratisch zu ändern. Die Gaststätte „Märker Bowling“ freilich war kein Werk von Localize, sie war echt, und natürlich geöffnet.

Kurz und gut, es war für jeden etwas dabei, bildende und angewandte Kunst, Performances und Videoclips, Konzerte, Kurz- oder Langspielfilme, Theater, Podium und Bar, Geselligkeit und Tanz - der Potsdamer Verein schuf ein so imposantes wie fantasievolles Tableau für die Öffentlichkeit. Spielerisch, gleichsam „Zug um Zug“, sollten Welt, Gesellschaft und Mensch in ihrem Gefüge erkundet und ergründet werden, egal, ob man dafür nun Sandkastenspiele wählte, die genial erdachte Pirsch zur Pirschheide, eine rotzfreche Videoanleitung zum deutschen Alphabet, oder im Programmmkino „Eroticats“ Kurzfilme im Geist von Gender schaut. Für ein paar Tage kehrte Leben in den versiegelten Durchgangsbahnhof zurück – dank „Localize“!

Gerold Paul

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