
© Manu Theobald
Kultur: Zurück in Potsdam
Peter Gülke, Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker, gastierte im Nikolaisaal
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Als gestern Nachmittag zur „Klassik am Sonntag“ der Dirigent Peter Gülke die Bühne des Nikolaisaals betrat, könnte ihn ein Gedanke bewegt haben: Es wäre zu schön gewesen, wenn Potsdam bereits in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts solch einen Konzertsaal mit anspruchsvoller Akustik gehabt hätte. Das Orchester des Hans Otto Theaters, dem Gülke von 1966 bis 1969 als Chefdirigent vorstand, war wie die anderen künstlerischen Sparten beheimatet im provisorischen Haus in der Zimmerstraße. Beengt waren dort Bühne und Orchestergraben, in denen es viele Besetzungsgrenzen gab. Mehr als 40 Jahre war das Theater ein akustisch unbefriedigender Ort. Doch trotz der Widrigkeiten kamen beeindruckende Dirigentenpersönlichkeiten nach Potsdam: Carlos Kleiber, Gert Bahner, Günther Herbig oder Peter Gülke. Der damals mit Anfang 30 wirkende Chefdirigent hielt in seinen Konzertprogrammen immer wieder spannende musikalische Entdeckungen jenseits ständiger Repertoirewiederholungen parat.
Seit Anfang dieser Saison ist Peter Gülke Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker, Nachfolger des auch bei den Potsdamer Konzerthörern beliebten Michael Helmrath. Der fast 82-jährige Gülke, der sich neben seiner eindrucksvollen Dirigentenlaufbahn auch als Musikschriftsteller einen Namen machte, erhielt vor zwei Jahren den renommierten Ernst-von-Siemens-Musikpreis. Er sieht sich in Brandenburg als Übergangsdirigent. Doch kurz vor dem Brandenburger Antrittskonzert im September 2015 musste er wegen einer Krebserkrankung die Leitung in andere Hände legen. Nach fünf Monaten Auszeit, die sich zwischen Bangen und Hoffen hinzogen, hat er dieser Tage seinen Dienst als Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker aufgenommen. Anfang der vergangenen Woche verkündete Gülke, dass er seinen Vertrag bis zum Ende der Spielzeit 2016/17 verlängern werde.
Peter Gülke ist kein Dirigent, der sich mit Äußerlichkeiten abgibt. Er sah und sieht sich stets als Diener der Musik, der dem Kern der ästhetischen Aussage auf der Spur ist. Seinen perfektionistischen Anspruch, den man schon vor 50 Jahren als Chef des Potsdamer Theaterorchesters erleben konnte, entwickelte er während seiner Laufbahn bis heute weiter.
Der Klangkörper aus Potsdams Nachbarstadt Brandenburg ist ständiger Gast im Nikolaisaal, bereits seit Eröffnung des Konzerthauses vor 15 Jahren. Vor allem bestreitet er die beliebte Nachmittagsreihe „Klassik am Sonntag“, bei der auch der rbb-Musikkritiker Clemens Goldberg als Moderator kenntnisreich mitwirkt. Für das von Gülke dirigierte Konzert waren Kompositionen zu hören, die sich bisher nicht unbedingt im Gedächtnis der Zuhörer festsetzten. Aber nach den eindrucksvollen Darbietungen durch die Brandenburger Symphoniker könnte eine verstärkte Annäherung zu den Werken von Jean Sibelius, Edward Elgar und Carl Nielsen sich entwickeln. Kompositionen wurden gewählt, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und teilweise unter dem Eindruck der furchtbaren Ereignisse des Ersten Weltkrieges sowie persönlicher Leiderfahrungen bis hin zur Auseinandersetzung mit dem Tod geschrieben wurden. Spätromantische Musik, die aber besonders im Fall von Carl Nielsen schon die Moderne im Blick hat.
Zum Auftakt wurde die sinfonische Dichtung „Der Schwan von Tuonela“ aus der Lemminkäinen-Suite des Finnen Jean Sibelius musiziert. Die Geschichte ist dem finnischen Nationalepos Kalevala entnommen und erzählt von dem jungen Bauern Lemminkäinen auf dem Weg nach Tuonela, ins Totenreich. Geheimnisvoll erklingt das in großer Ruhe ausstrahlende Werk. Die Kälte, die die geteilten Streicher hervorrufen, wird von der Schönheit des Schwans, vertreten durch das lyrische Englischhorn (von Bettina Fritz bewegend musiziert), überstrahlt. Danach betritt fast unbeschwert die junge Cellistin Anastasia Kopekina die Bühne des Nikolaisaals. Die aus dem russischen Jekatarinenburg stammende Musikerin spielt das höchst anspruchsvolle Konzert für Violoncello und Orchester in e-Moll op.85 des Engländers Edward Elgar. Mit ihrem edlen Celloton weiß sie die sanglichen Linien breit und innig strömen zu lassen. Die 22-Jährige ließ sich auf die fast durchgängige Melancholie des Werkes mit beeindruckender Verve ein. Vielleicht hätte sie dem Ganzen mehr frische Kraft verleihen können, wenn die Symphoniker nicht mit als zu dicken Farbtupfern aufgewartet hätten.
Zum Finale stellten Gülke und das Orchester die 4. Sinfonie des dänischen Komponisten Carl Nielsen vor. Er gab seinem Opus 85 den Titel „Das Unauslöschliche“. Es ist ein Werk, das trotz der furchtbaren Ereignisse des Ersten Weltkrieges in eine hoffnungsvolle Zukunft blicken will. Eine abwechslungsreiche und manchmal schwer kalkulierbare Musik ist zu hören, wobei der zweite Satz mit seinen anmutigen Bläserklängen sowie der vierte Satz mit den geheimnisvoll-faszinierenden Paukenschlägen besonders für sich einnehmen. Dirigent und Symphoniker tun alles, um das Werk Nielsens klanglich ins rechte Licht zu stellen.
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