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Bilder einer Reise. Antwerpen, 1957.

© Michael Lüder

Kultur: „Zurückkehren war ihm wichtig“

Jutta Götzmann über die Skizzenbücher und Reisebilder von Siegward Sprotte

Stand:

Im Potsdam Museum ist unter dem Titel „Die Welt farbig sehen“ eine große Retrospektive zum 100. Geburtstag des Potsdamer Malers Siegward Sprotte zu sehen. Auf einer Fläche von 600 Quadratmetern wird Sprottes Lebenswerk in seiner Komplexität gezeigt: 175 Arbeiten des Künstlers, die von 1929 bis 2003 entstanden sind. Mit Beiträgen in loser Reihenfolge begleiten die PNN diese Ausstellung. Heute spricht Museumsdirektorin Jutta Götzmann über die Reisebilder und Skizzenbücher von Siegward Sprotte.

Frau Götzmann, lassen sich Sprottes Skizzenbücher, seine Reisebilder, auch als gemalte Tagebücher bezeichnen?

Auf jeden Fall! Darum zeigen wir in unserer Ausstellung ausgewählte Tagebücher in der Medienstation und gleichzeitig seine Skizzenbücher, weil sie im Grunde als gemalte Tagebücher zu verstehen sind. Manchmal haben sie kleine Textkommentare, die wir häufig aufbereitet haben. Sprotte bringt manchmal ein paar Gedanken ein, manchmal benennt er die Reisen oder Orte konkreter, sehr oft aber auch nicht. Die Skizzenbücher und -blätter entstanden nicht im Hinblick auf ihre Ausstellbarkeit, sondern fixierten für ihn persönliche Eindrücke.

Trotzdem waren diese Reisebilder und Skizzenbücher bisher in keiner Ausstellung über Sprotte ein Thema.

Stimmt, und das war für uns der Anlass, sie als wichtige Motivgruppe auszuwählen und vorzustellen! Schließlich nehmen die Reisebilder und -skizzen in der Rubrik der Landschaftsmalerei Sprottes eine Sonderstellung ein. Das Interessante an den Landschaftsbildern ist, dass hier keine topografischen Besonderheiten festgehalten werden. Es sind Landschaften im allgemeinen Sinn, die durch ihre Ausschnitthaftigkeit einen kosmischen Charakter gewinnen. Topografie und lokalkoloristische Besonderheiten prägen hingegen die Gruppe der Reisebilder.

Mit dem Schreiben von Tagebüchern hat Sprotte schon sehr früh begonnen. Gilt das auch für seine Skizzenbücher?

Das erste Skizzenbuch, das wir überhaupt von ihm besitzen und in dem seine allerersten Reisen lokalisiert sind, stammt von 1926. Das heißt, er begann es als 13-Jähriger. Ab 1927 führte Sprotte sein erstes Tagebuch. Er schrieb und skizzierte schon in jüngsten Jahren und trennte beides auch nicht säuberlich voneinander. Die hohe Anzahl an erhaltenen Tage- und Skizzenbüchern legt nahe, dass Sprotte immer eines in der Tasche gehabt hat, um ganz unmittelbar Gesehenes niederzuschreiben oder zu skizzieren.

Wie viele dieser Reise-Skizzenbücher und -blätter gibt es?

Das ist schwierig zu sagen. Wir haben in der Ausstellung 30 Arbeiten an der Wand ausgestellt, darunter sind aber auch Aquarelle. Hinzu kommen siebzehn Skizzenbücher und vielzählige Einzelblätter, die das Thema Reise spiegeln. Der erhaltene Umfang ist aber noch wesentlich größer.

Nach welchen Kriterien haben Sie aus den Reisebildern und den Skizzenbüchern ausgewählt?

Wir haben uns für drei größere Reisen beziehungsweise Reisegruppen entschieden. In den frühen Jahren des Berliner Akademiestudiums und unmittelbar danach reiste Sprotte häufig nach Italien und Skandinavien. Auch seine frühen Rügenreisen, die er auch auf Anregung Hagemeisters unternommen hat, zählen hierzu. In Italien reizten ihn die Abruzzen, die Dolomiten und die Städte Arezzo und Florenz in der Toscana. Der Ort Colfosco wurde – nicht zuletzt durch Sprottes Freundschaft zur dort ansässigen Familie Merser – zu seinem zweiten Zuhause. Gerade die Gebirgslandschaft der Dolomiten und die harmonische Hügellandschaft der Abruzzen entwickelten sich zu einem bestimmenden Motiv seines Frühwerks. Die zweite größere Sektion in der Ausstellung widmet sich seiner Westindienreise 1957, auf der er sich noch einmal ganz intensiv mit der Farbe auseinandergesetzt hat. Diese Westindienreise ist für ihn auch so wichtig gewesen, weil er bei der Überquerung des Atlantiks eine ganz andere Farbgebung erlebte als die ihm bekannte, heimatliche. Auf den westindischen Inseln und in Venezuela ist er völlig fasziniert von der tropischen Natur mit Kakteen und Orchideen sowie mit Kokos- und Königspalmen gewesen. Aber auch bunte Kreolenhäuser hielt Sprotte mehrfach in kleinen Reiseskizzen fest.

Und die dritte Reise?

Die letzte Reise, die wir ausführlich vorstellen, ist seine New-York-Reise. Uns war es wichtig, zu zeigen, dass Sprotte nicht nur natürliche Landschaften, sondern auch Stadtlandschaften im größten Format aufgesucht hat. New York hat er mehrfach bereist, 1980 erstmals mit Cosmea. Während der Reise entstand sein Skizzenbuch mit kleinen, fast unauffälligen Bleistiftzeichnungen und in bräunlichem Ton gehaltenen Aquarellen. Zu sehen sind Szenen des Stadtviertels Chinatown in Manhatten. Des Weiteren inspirierte Siegward Sprotte aber auch die Natur auf Long Island. Völlig begeistert war er von den ausdrucksstarken Gesichtern vieler Menschen, denen er in der Metropole begegnet ist.

Sprotte ist vor allem gereist, um zu malen?

Richtig! Im Grunde hat ihn – wie zahlreiche Künstlerkollegen vor ihm, zu nennen sind August Macke oder Emil Nolde – die künstlerische Neugier und die Faszination der Ferne mit ihrer ganz eigenen Farbwelt motiviert. Bis ins hohe Alter wechselte Sprotte regelmäßig seinen Wohn- und Arbeitsort. So arbeitete er jahrzehntelang im Sommer auf der Insel Sylt und im Winter auf der Insel Madeira oder in Griechenland. Dieser häufige Ortswechsel war für ihn sehr fruchtbar und formte seine Künstlerpersönlichkeit.

Den Ausstellungsbereich mit den Skizzenbüchern und Reisebildern haben Sie mit „Sehnsucht nach der Ferne. Skizzierte Reisen“ überschrieben. Woher kam diese Sehnsucht, diese Unruhe bei Sprotte? Gibt es da Hinweise in seinen Tagebüchern?

Wir haben nur wenige Aussagen dazu gefunden. Hinweisen möchte ich auf ein schönes Zitat, das wir auch für unsere Ausstellung ausgewählt haben: „Ich verreise gerne, weil ich gerne wiederkomme. Ich begrüße lieber, als ich Abschied nehme. Nicht wie oft du wegfährst ist wichtig, wie oft du wiederkommst, darauf kommt es an. Das Wiederkommen ist die Kunst der Erwiderung“. Dieses Zurückkehren war ihm ein wichtiges Element. Aber auf der anderen Seite reiste er, um neue Eindrücke zu gewinnt. Sprotte malte das Meer, Bäume und Blumen, also klassische Naturmotive, und das in einer kleinen Motivauswahl. Mit diesem begrenzten Repertoire setzte er sich intensiv auseinander und suchte diese Motive in unterschiedlichen Regionen auf. So schreibt er über das Meer: „Das Blau des Ozeans ist ein anderes, als die Blaus, die uns bekannt sind. Es kann ein tiefes, dunkles Violett erreichen und es hat Übergänge bis zu einem feurigen Chromoxidgrün.“ Das ist sein Interesse, die Neugierde an der Andersartigkeit der gleichen Motive.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Die Austellung „Die Welt farbig sehen“ im Potsdam Museum, Am Alten Markt, ist bis zum 14. Juli immer dienstags bis sonntags, 10-17 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 3 Euro

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