Kultur: Zwielichtiger Zauber
Potsdams Urania-Reihe „Im Garten vorgelesen“ wurde im Schlosspark Groß Ziethen mit „Mario und der Zauberer“ eröffnet
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Die Sonnenstrahlen kämpfen sich im flackernden Spiel durch das dichte Blätterdach der alten knorrigen Eiche. Ein Zwielicht, das den Boden bereitet für eine teuflische Zauberei. Die ländliche Idylle im märkischen Wiesengrund von Groß Ziethen, in der am Sonntagnachmittag die Potsdamer Urania-Reihe „Im Garten vorgelesen“ als „Gastspiel“ eröffnet wird, liegt weit entfernt vom quirligen Treiben des italienischen Badeortes Torre di Venere. Und doch sind Froschkonzert und Hundegebell vor der majestätischen Schlosskulisse im Kremmener Luch fast vergessen, als Moritz Führmann der Novelle „Mario und der Zauberer“ von Thomas Mann dramatische Gestalt verleiht.
Die bekannte Geschichte um die Gefährlichkeit der Verführung lässt die Zeit des aufkeimenden Faschismus in Italien in einer grotesken Schau des Hypnotiseurs Cipolla greifbar werden. Moritz Führmann, der vielseitige Schauspieler des Potsdamer Hans Otto Theaters, gibt mit Gel im Haar auch äußerlich einen Fingerzeig auf das Schmierige des verwachsenen Gauklers, der in seiner Show die Menschen der Lächerlichkeit preisgab. Doch dieser Attitüde hätte es gar nicht bedurft: Mit seiner facettenreichen Stimme und dem Nachdruck seiner Hände blättert er die literarische Vorlage zu einem theatralen Erlebnis auf. Die meisterlich geschliffenen Bandwurmsätze des Autors splittet er nuancenreich in sinnliche Bilder. Mit der weichen melodischen Stimme des Erzählers malt er die verschiedenen Figuren, mal im Plauderton, mal innehaltend, dann wieder übersprudelnd mit aufgeregtem Kindermund. Und besonders brilliert Führmann mit seinen perfekt klingenden italienischen Vokabeln. Das anfänglich Unterhaltsame, das schillernd fabulierend auch amüsiert, weicht unterschwellig mehr und mehr dem Bedrohlichen.
Man sieht ihn vor sich, den Alkohol umnebelten Magier mit seiner pfeifenden Reitstock-Fuchtel, der mit stechenden Augen den Geist seiner „Opfer“ blendet und ihnen schamlos die innersten Geheimnisse entlockt. Bis irgendwann der Schuss fällt, und Mario, der Kellner, dem Ganzen ein Ende mit Schrecken, aber doch ein befreiendes Ende gibt.
Der Erzähler verstummt. Den Schlusspunkt setzt Chatschaturjans Säbelrasseln. Aufgespielt wird dieser feurige Tanz vom Duo Muzet Royal mit der Akkordeonistin Sirid Heuts und der Geigerin Cordula Heth. Sie begleiten und untermalen Moritz Führmanns Lesung mit Caféhaus-Musik im Tangoschritt und melancholischen Zigeunerweisen. Damit streichen sie anfangs das bunte Flair des Badeortes mit den selbstgefälligen Flaneuren charmant heraus. Doch als die Soiree des Cavaliere Cipolla beginnt und das Vergnügen seine dunklen Schatten wirft, hätte man ihren leidenschaftlich gespielten Melodien auch einige Dissonanzen gewünscht und dem teuflischen Zauber einen Stolperschritt. Und dennoch war es das Zwielicht, das diesen Nachmittag durchdrang: leichtfüßig und aufwühlend zugleich.
So wie die Merkwürdigkeiten in Torre die Urlauber zum Bleiben reizten, verweilte auch die mit der Urania angereiste große Gästeschar noch nach der Lesung gern am Ort. Allerdings um angenehme „Merkwürdigkeiten“ zu genießen. Edith Freifrau von Thüngen, die mit ihrer Familie nach der Wende das Schloss und den zugewucherten Park in Groß Ziethen pachtete und zu einem Kleinod herausputzte, schuf damit eine Brücke zwischen Ost und West. „Wir bauten sie mit den hiesigen Menschen zusammen auf und leben noch immer im guten Einverständnis.“ Ehrliche, weltoffene Worte – an einem Ort von ungetrübtem Zauber. Heidi Jäger
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