Von Heidi Jäger: Zwiesprache mit der Einsamkeit
Der Regisseur Roland Gräf präsentiert sich zu seinem 75. Geburtstag als Fotograf
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Er ist nicht der Raser, der mit 180 über die Autobahn brettert. Roland Gräf braucht das Kopfsteinpflaster, das zur Langsamkeit zwingt. Im Innehalten findet er das, was ihn vorwärts treibt. Und in ein neues Leben mündet.
Als der Regisseur 1995 mit dem Filmemachen abschloss, war jede Menge Resignation dabei. Keiner scherte sich mehr um seine einst preisgekrönten Werke, wie „Märkische Forschungen“ oder „Fallada - Letztes Kapitel“. Auch „Der Tangospieler“, der 1991 den Bundesfilmpreis erhielt, fiel in die Wendeeuphorie und ins Verleiher-Loch. Neue Projekte, die der für seine eigenwillige, oft auch sperrige Filmsprache bekannte Gräf immer wieder anschob, fanden kein Gehör. Und beim neuen deutschen Fernsehen, wo er nur ein Nobody war, fühlte sich der bekannte DEFA-Mann ohnehin fehl am Platz.
Roland Gräfs künstlerisches zu Hause ist jetzt der Fläming und mit ihm die Fotografie. Seitdem er dort mit seiner Frau ein altes Bauernhaus umgebaut hat, stromert er selbstvergessen durch die leise Landschaft und hält Zwiesprache mit der Einsamkeit. Derzeit ist er allerdings dabei, in seiner Stadtwohnung vis-à-vis von den Filmstudios Babelsberg an einer Ausstellung für das Filmmuseum zu arbeiten, die am 15. Oktober, zwei Tage nach seinem 75. Geburtstag, eröffnet werden soll.
Schon steht die „Beute“ langer Erkundungstouren gerahmt in seinem Arbeitszimmer, von Kater Quintus zärtlich umstrichen. Eine unaufgeregte, doch reiche Ernte. Mit dem geschulten Blick des einstigen Kameramanns förderte Roland Gräf Spuren und Impressionen der Natur zu Tage, die fast malerisch wirken. In seinen himmellosen entrückten Landschaften scheint die Uhr still zu stehen. Man tritt ein in einen Raum, der den Lärm der Welt vergessen macht. Kraftvoll brüsten sich Bäume mit ihrem weiten Geäst und wirken doch wie in einen Wattebausch gepackt. Obwohl von Schnee und Eis überzogen, geht eher Wärme von diesen inszenierten „Momentaufnahmen“ aus. Meist sind sie menschenleer. Auch das ist kein Zufall, „vielleicht weil ich sonst wieder ans Kino erinnert werden würde, was es für mich nicht mehr gibt.“
Und doch spricht aus den Bildern auch der Regisseur, der nichts dem Zufall überlässt. Vor allem nicht bei seinen „Strukturbildern“, die er auf Betonwänden von Futtersilos erspäht. Verwitterungen oder Kratzspuren, die sich beim Ein- und Ausfahren von Mais in den Beton eingraben, hält er mit der Kamera fest. Zuhause am Computer „malt“ er dann mit Farbe nach, was sich seinem Auge der Phantasie zu erkennen gibt. Da spiegelt sich die Silhouette eines Waldes im Wasser, eine Taube breitet ihre Flügel aus, „Blut“ läuft aus einer aufgerissenen Wunde. Der Interpration ist Tür und Tor geöffnet, und doch folgt man zielgenau dem Gräfschen Kompass. Und der schlägt für ihn allein im unaufgeregten Fläming aus: „Wo nichts ist und du zwei Mal gucken musst.“ Und so vereinnahmen seine Bilder eher durch Askese als durch barocke Fülle.
Seine dreigeteilte Fotoschau wird neben Landschaften und „Strukturen“ auch Innenräume einfangen, die in ihrem morbiden Charme an die Bilder von Manfred Kriegelstein erinnern. Doch Roland Gräf fotografierte nicht die leergezogenen Russenkasernen, sondern die verwaisten, verwahrlosten Räume in Beelitz-Heilstätten, die sich still gegen den Verfall wehren. Und die offenen Türen weisen trotz des Verwelkens den Weg hinaus. Nach Jahren des Rückzugs, wagt sich auch Roland Gräf mit seiner Ausstellung nun wieder in die breite Öffentlichkeit. „Meine Zeit als Filmemacher ist beendet worden und ich will nicht wie ein Schlagersänger mit Hits von vor 30 Jahren herumtingeln. “ Und so ist es ihm zu seinem 75. Geburtstag wichtiger, das zu präsentieren, was im Moment sein Leben füllt. „Dennoch quält es mich schon, dass meine Filme hinterm Horizont verschwunden sind, auch wenn ich keine retrospektiver Mensch bin.“
Roland Gräf hatte 1995 von sich aus beschlossen, nicht mehr auf „Betteltour“ zu gehen. Auch wenn ihm immer wieder Themen unter den Nägeln brannten, die sich mit der eigenen Geschichte auseinandersetzten. An Filme über den Westen, den er nicht kannte, hätte er sich nie gewagt.
Als er den Kampf ums Geld irgendwann als verloren aufgab, wurde er als Professor an die Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen berufen: „für die Studenten waren das sicher sinnvolle Jahre.“ Doch er selbst fühlte sich nicht als Pädagoge. „Ich habe als Regisseur immer nur mit den Schauspielern gearbeitet, die ich mochte und von denen ich wusste, die sind gut. Auf der Schule musst du aber auch den Mittelmäßigen auf die Schulter klopfen und sagen: Gut so. Heucheln ist indes nicht meine Stärke.“
Er selbst kam an die Filmhochschule nach einer „Schnellbesohlung“ an der Arbeiter- und Bauernfakultät in Jena. Man suchte in den 50er Jahren Leute aus der Arbeiterklasse und mit einem Vater, der als Holzarbeiter im thüringischen Schwarzatal arbeitete, hatte er beste Karten. Zudem war er Parteimitglied. „Als 1953 Stalin starb, dachte ich, jetzt musst du ran.“ DEFA-Chef Albert Wilkening sorgte für die Zulassung an der Schule und nach dem Diplom stand Roland Gräf zehn Jahre hinter der Kamera, arbeitete mit Lothar Warnecke, Rainer Simon oder Herrmann Zschoche. Und mit dem Regisseur von „Jahrgang 45“, Jürgen Böttcher, der als Strawalde auch als Maler berühmt wurde. Von ihm und seinen Dresdner Malerfreunden hängen heute überall in der Gräfschen Wohnung leise poetische Bilder. Und man spürt die Nähe zu den eigenen Fotografien.
Dass sich der Regisseur auf seine fotografischen Wurzeln besann, war mehr einem Zufall geschuldet. „Ich wollte die Unmassen meiner Fotos aussortieren, um nicht die Kinder eines Tages damit zu überfordern. Ich kaufte mir einen Scanner und ein Fotobearbeitungsprogramm und dachte: so jetzt schmeißt du alles weg, was nicht wichtig ist.“ Doch beim Bearbeiten merkte er, dass sich aus den Fotos viel mehr herausholen lässt. „Das war ein Moment großer Freiheit. Immer war ich in meinem Berufsleben von anderen abhängig: von guten Geschichten, Schauspielern, dem Kopierwerk, vom Geld. Jetzt konnte mir keiner mehr reinreden. Ich war wie im Rausch.“ Aus dem sich Trennen wurde ein Aufbruch – in die leise Welt des Flämings, links und rechts des Kopfsteinpflasters.
Die Ausstellung „Roland Gräf – Fläming-Bilder“ wird am Donnerstag, 15. Oktober, im Filmmuseum eröffnet.
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