Schülerin aus Werder segelt nach London: 35 Meter über dem Meer
Die Werderanerin Sinje Lorentzen segelt derzeit über die Nordsee nach London. Sie liebt es, auf den Mast zu klettern und den Wind zu spüren - und verzichtet dafür auf Handy-Empfang.
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Werder (Havel) - Anker lichten, Leinen los und die 24 Segel der „Alexander von Humboldt II“ mit Kurs auf London in den Wind setzen. Das hieß es am gestrigen Montag für die 16-jährige Werderanerin Sinje Lorentzen, die mit dem Segelschulschiff bis Freitag von Hamburg über die Nordsee zu Englands Hauptstadt fährt.
Neben Segeln setzen und sie bergen müssen die Besatzungsmitglieder auch ans Ruder oder klassisch vorn am Ausguck nach Fischen und Treibgut Ausschau halten. Sinje aber klettert am Liebsten. „Anfangs hatte ich da ziemliche Angst, aber wenn man die einmal überwunden hat, ist es ein wunderbares Gefühl von Freiheit, wenn einem der Wind in 35 Metern Höhe um die Nase weht“, so die Schülerin des Oberstufenzentrums. Abgerutscht sei sie vom Rah – dem Querbalken, an dem die Segel befestigt sind – trotz Wellengang bisher noch nie. „Die Rettung wäre schwierig. Wir sind da oben zwar mit Seilen gesichert, aber alleine schafft man es nicht, wieder festen Tritt unter den Füßen zu bekommen“, so Sinje. Deshalb müsse dann ein anderer Matrose hochklettern und versuchen, den Hängenden wieder irgendwie an den Mast zu ziehen.
Segeln auf der Havel zu langweilig
Seit drei Jahren segelt Sinje – ihr Name ist dänisch und bedeutet „kleine Sonne“ – bereits auf kleineren Schiffen, angefangen hat sie noch in ihrer Heimatstadt Wilhelmshaven. Als der Vater, der bei der Marine arbeitet und zwei Jahre Kommandant der Fregatte „Brandenburg“ war, nach Berlin versetzt wurde, zog die Familie 2012 nach Werder in die Havelauen. Das Segeln auf der Havel wurde Sinje aber schnell zu langweilig, verglichen mit der Nordsee wehe auf dem Zernsee ja eine eher leichte Brise. Die Mama hat Sinje dann auf das Schulschiff aufmerksam gemacht, auf dem jeder Segelfan ab dem 16. Lebensjahr mitfahren kann. Zum Abschluss der 10. Klasse fuhr sie im vergangenen Jahr dann erstmals auf der „Alex 2“, wie die Fans das Schiff nennen, von Eckernföhrde nach Göteborg und zurück. 520 Euro kostete die achttägige Fahrt für Schüler.
Gefördert wird das Segeln von der „Sail Training Association Germany“ (STAG), die über eine Tochtergesellschaft auch Betreiberin der „Alex 2“ ist. Vertreten sind an Bord alle Altersklassen. „Da auch die älteren Segler meist neu an Bord sind und noch lernen, ist das Klima zwischen allen Altersklassen sehr entspannt“, so Sinje.
Silvester in der Karibik
Und verstehen sollte man sich auf dem Schulschiff gut: Auch wenn die „Alex 2“ mit einer Länge von 65 Metern, zehn Metern Breite und fünf Metern Tiefgang nach eigenen Angaben das größte zivile Segelschiff des Landes ist, wird es mit einer Besatzung von bis zu 80 Mann recht kuschlig an Bord. Geschlafen wird meist in Viererkabinen. Die Besatzung wechselt sich im Schichtdienst ab, nach vier Stunden an Deck hat jeder Matrose acht Stunden Pause. „Privatsphäre hat man da nur, wenn die anderen aus der Kabine grade Dienst haben.“ Für ein bis zwei Wochen sei das in Ordnung, manch Matrose würde sogar drei Monate an Bord verbringen. Auch Sinje hatte bereits über Silvester den nächsten Turn in der Karibik gebucht, wo die „Alex 2“ den Winter verbringt. Da man immer mit den gleichen Menschen Wache hat, entstünden Sinje zufolge auch enge Bindungen untereinander. Zudem gibt es zwar Strom an Bord, aber kein Internet und auch keinen Handy-Empfang. Zum Reden trifft man sich auf dem Achterdeck oder auf ein Bier in der Schiffsmensa.
Das Geschlechterverhältnis an Bord sei halbwegs ausgeglichen. „Ich habe schon zweimal erlebt, dass sich Pärchen an Bord gebildet haben“, so Sinje. Selbst verliebt hat sie sich aber noch nicht, die meisten Männer an Bord seien mit über 20 Jahren etwas zu alt für sie. Im Sommer will die Schülerin auf einem Turn von Amsterdam nach Bremerhaven ihre Leichtmatrosenprüfung machen, danach kann sie selbst kostenlos auf dem Schiff mitfahren und andere Segler ausbilden.
Nach dem Abi zur Marineschule
Auch beruflich will Sinje später mit Schiffen zu tun haben, nach dem Abitur in zwei Jahren will sie auf die Flensburger Marineschule gehen und wie ihr Vater auf den Schiffen der Bundeswehr dienen. Zwar sei der Opa, der einst in der Luftwaffe war, noch immer der Meinung, das Frauen nicht in die Bundeswehr gehörden. „Der Rest der Familie steht aber hinter mir“, ist sich Sinje sicher.
Wenn sie die Leichtmatrosenprüfung geschafft hat, könnte sie im kommenden Jahr sogar vertraute Gesichter ausbilden. Dann sei ihr Bruder 16, und er und ihre Mutter wollen endlich auch auf der „Alex 2“ mitfahren. Eine komplette Familienzusammenführung wird es aber nicht geben: Ihr Vater habe auf der Gorch Fock gelernt. Für ihn solle das eine einmalige Erinnerung bleiben.
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