Potsdam-Mittelmark: Äivago

Schiwago Wer könnte diesen Blick aus schwarzen Samtaugen vergessen, Inkarnation der russischen Seele und Sehnsucht? Omar Sharif spielte als Arzt und Dichter Jurij Schiwago in der Verfilmung von Boris Leonidowitsch Pasternaks (1890-1960) Jahrhundertroman die Rolle seines Lebens. Merkwürdig nur, dass die vermeintlich slawischen Augen einem Ägypter gehörten und sämtliche Szenen, sei es der verschneite Moskauer Arbat oder die Landschaft rund um das Ural-Städtchen Warykino, in Spanien nachgestellt wurden – die Politik ließ Regisseur David Lean 1965 keine andere Wahl. Aus der Perspektive eines bolschewistischen Generals, Schiwagos Halbbruder, wird die Epoche ab 1904, dem Russisch-Japanischen Krieg, bis Mitte der 30er Jahre in einem Menschenschicksal abgebildet. Ob nach der Oktoberrevolution auf dem Weg in die Einsamkeit des Ural, ob in der letzten Szene im stalinistischen Moskau, als Schiwago nach einem Herzinfarkt auf offener Straße zusammenbricht: Immer hat er seine entschwundene Liebe Lara im dunklen Sehnsuchtsblick. „Doktor Schiwago" hat die westliche Vorstellung vom vorrevolutionären Russland wie kein anderer Roman geprägt. In Pasternaks Heimat wurde das Buch als „grässliches antisowjetisches Machwerk" verfemt. So ist es dem Mut von Giangiacomo Feltrinelli – damals noch Mitglied der kommunistischen Partei Italiens – zu verdanken, dass „Il dottor Zivago" 1957 in Italien erscheinen konnte. Der Briefwechsel zwischen Autor und Verleger ist ein einziges Abenteuer, nachzulesen in Carlo Feltrinellis Biographie „Senior Service". Nur die Briefe des Schriftstellers, die auf Französisch gehalten waren, gaben dessen wahre Meinung wieder; alle anderssprachigen waren Tarnschreiben, um die Zensur zu beruhigen. 1958 wurde Pasternak der Nobelpreis zuerkannt. Er lehnte ihn ab, um nicht emigrieren zu müssen. Zwei Jahre später starb er, von den Querelen zermürbt. K. Hillgruber

K. Hillgruber