Kriegsende in Kleinmachnow: Als die Russen Kleinmachnow stürmten
In den letzten Kriegstagen starben 320 Soldaten und zahlreiche Zivilisten. Ortschronist Günter Käbelmann hat fast 100 Zeitzeugenberichte darüber gesammelt, einen findet er besonders interessant.
Stand:
Kleinmachnow - Es war der Tag, an dem die Russen in Kleinmachnow einmarschieren sollten, doch der 25. April 1945 begann für den Verleger Dr. Peter Bloch (1900-1984) zunächst mit drei deutschen Soldaten. Sie schliefen morgens im Vorgarten seines Hauses in Wolfswerder. „Wir gaben ihnen etwas Warmes zu trinken, dann zogen sie mit hängenden Köpfen in Richtung Zehlendorf davon“, schreibt Bloch in seinen Erinnerungen zum Kriegsende in Kleinmachnow. Kurz darauf habe ein Nachbar an die Tür geklopft: „Herr Doktor, die Russen sind da.“ Bloch bekam mit, dass seine Tochter zum Kaufmann gegangen war, um noch Lebensmittel zu ergattern. Er wollte hinterher, doch kaum auf der Straße, wurde er von russischen Infanteristen aufgehalten.
100 Berichte zum Kriegsende
Blochs Erinnerungen gehören zum Archiv des Kleinmachnower Ortschronisten Günter Käbelmann. Der 79-Jährige hat bald 100 solcher Zeitzeugenberichte zum Kriegsende gesammelt. Käbelmann erzählt zum Beispiel die Geschichte eines kleinen Jungen aus der Kleinmachnower Siedlung Klein Moskau, der sich vor dem russischen Angriff ausgerechnet in einen Schützengraben der Volkssturmleute retten wollte. Er wurde zurück nach Hause geschickt, wo er kurz darauf bei einem Granateinschlag verstarb. Oder von der Großmutter, die die Fotos ihrer beiden Enkel in SS-Uniformen auf dem Vertiko stehen hatte, weil sie von Hitler ausgezeichnet worden waren, und wie sie deshalb sicher war, nichts Schlechtes getan haben konnten. Rotarmisten sahen das anders, die Frau wurde erschossen.
Für Verleger Peter Bloch ging die erste Begegnung mit drei Sowjetsoldaten hingegen glimpflich aus. Sie wollten in sein Haus, hatten Durst. Für den Fall, dass die Wasserversorgung einbricht, hatte Bloch bereits einige Wasserkessel im Keller verwahrt. „Ich wies also auf die Kellertür. Die Russen verstanden meine Geste falsch, dachten, im Keller wären deutsche Soldaten, rissen die Maschinenpistolen von der Schulter und polterten die Treppe hinunter.“ Erst unten klärte sich die Situation. Als Bloch auf der Suche nach seiner Tochter kurz darauf erneut in Richtung Düppel aufbrach, traf er einmal mehr auf deutsche Soldaten, konnte nicht weiter. Zurück zu Hause traf er seine Tochter, die auf der Gartenseite der Häuser zurückgeschlichen war.
Ein sinnloses Gemetzel
Ortschronist Käbelmann hat die Daten des Kriegsendes in Kleinmachnow chronologisch aufgelistet: Am 22. April erreichen erste sowjetische Panzer Ruhlsdorf, Stahnsdorf und Teltow. An den Teltower Scheunen vernichten Kleinmachnower Oberschüler mit einer Panzerfaust einen russischen T34, die erste Kampfhandlung der Region. Die deutsche Verteidigung zieht sich auf die Nordseite des Teltowkanals zurück, bis 23. April sind alle Brücken gesprengt. An dem Tag misslingt ein Versuch sowjetischer Panzer, an der Badewitzbrücke (heute Friedensbrücke) durchzubrechen, 30 Soldaten sterben.
Am 24. April beschießen Rotarmisten aus allen Rohren Wehrmachtsstellungen am Kanal. Zwischen Teltow und der Schleusenbrücke stehen russische Geschütze, ein Gefechtsstand ist auf dem Mutterhaus der Diakonie eingerichtet. Auf der anderen Kanalseite verteidigen deutsche Geschütze auch in Kleinmachnow die Stellungen, ein sinnloses Gemetzel.
Laut Käbelmann sind bei den Kampfhandlungen in Kleinmachnow 210 Wehrmachtssoldaten und 110 Rotarmisten umgekommen, außerdem viele unbeteiligte Zivilisten. Immerhin gab es Anwohner wie Peter Bloch, die erkannten, wie unsinnig dieser „Endkampf“ war. Als die Rotarmisten am 21. April begannen, Berlin nicht nur von Osten anzugreifen, sondern auch von Norden und Süden umzingelten, sei das erste Aufgebot des Kleinmachnower Volkssturms zum Einsatz an den Teltowkanal gesandt worden, schreibt Bloch in seinen Erinnerungen. Keiner sei zurückgekommen. Selbst Volkssturm-Zugführer, war Peter Bloch erst kurz zuvor wegen eines Rücken-Karbunkels ins zweite Aufgebot versetzt worden.
Die Hölle sei reingebrochen
Am Morgen des 23. April sollte er mit seinem Zug am Alarmplatz erscheinen, zwei weitere Züge sollten kommen, doch insgesamt kaum 40 Leute waren da. Bei einer Lagebesprechung am Tag darauf war Bloch mit dem verängstigten Kompanieführer und einem schriftlichen Einsatzbefehl allein, die russische Granaten schlugen schon im Ort ein. Bloch übernahm das Kommando und erklärte den Volkssturm für aufgelöst. So sagte er es kurz darauf auch seinem Zug. Er berichtet in seiner Erinnerung, dass ihn eine Nazipatrouille dafür noch aufhängen wollte, sich aber aus Zehlendorf nicht mehr durchschlagen konnte.
Am 25. April bis 14 Uhr ist der Widerstand in Kleinmachnow gebrochen. Als am 26. April die russische Fronttruppe von der Besatzungsarmee abgelöst wird, sei die Hölle über Kleinmachnow hereingebrochen. „In drei Tagen wurden über 200 Menschen sinnlos erschossen und zahllose Frauen vergewaltigt“, schreibt Bloch. Erst nach einigen Tagen habe der zuständige Kommandant die Plünderungen und Vergewaltigungen unter Androhung hoher Strafen verboten.
Peter Bloch engagierte sich beim Wiederaufbau der Gemeindeverwaltung. Noch im Juli 1945 war er erster Vorsitzender der CDU Kleinmachnow, später Landesvize der Partei in Brandenburg, bevor er flüchtete, 1959 Bezirksbürgermeister in Berlin-Steglitz wurde und sechs Jahre lang blieb. Für Ortschronist Käbelmann sind die Erinnerungen 70 Jahre später auch aufgrund der Prominenz von Peter Bloch besonders spannend. Namen und Fakten aus dem 19 Seiten dicken Text hat er in Archiven abgeglichen, habe keine Fehler entdeckt. „Das ist ein einmaliges Zeugnis über Kleinmachnow.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: