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Potsdam-Mittelmark: Am Dorf vorbei mit Tempo 100

Die Güterfelder Ortsumfahrung ist eröffnet worden, viele Bewohner genießen die neue Ruhe

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Stahnsdorf - Geblieben ist nur ein Rauschen. Ein Summen, so laut wie ein Flugzeug am Himmel, das gerade noch zu sehen ist. „Das ist beruhigend“, sagt Inge Müller und wendet ihren Blick vom Verkehr auf der neuen vierspurigen Umgehungsstraße ab. Mit ihrem Rollator und Freundin Gerda Krause hatte sich die 87-jährige Güterfelderin am Montagvormittag hierher auf den Weg gemacht. Sie wollten die neue Ruhe erleben. Denn Lkws und Autos, die sich bislang zu Tausenden an ihren Häusern vorbeidrängelten und die Gläser im Schrank zum Klingen brachten, zischen nun an Güterfelde vorbei. „Endlich ist es geschafft“, sagt Inge Müller. „Es war furchtbar.“

Fast 18 Jahre mussten die Güterfelder auf diesen Moment warten: Am Montag ist die neue Landesstraße 40 eröffnet worden. Nach jahrelangen Straßenbauarbeiten an Potsdams östlicher Stadtgrenze ist die schnelle Verbindung zwischen Potsdam und Brandenburgs derzeit größter Baustelle in Schönefeld damit so gut wie fertig. Nur ein kleines Straßenstück fehlt noch auf dem Weg zum Großflughafen. Bis zum Ende des Jahres 2014 – also noch vor Eröffnung des BER – sollen aber auch die letzten Arbeiten auf der Strecke bei Blankenfelde-Mahlow abgeschlossen sein. Fast ohne Ampelkreuzung geht es dann im Eiltempo von der Potsdamer Humboldtbrücke an Güterfelde vorbei hin zur Bundesstraße 101 und über Mahlow bis nach Schönefeld.

Zwei Polizeiwagen mit Blaulicht, gefolgt von einem weißen Transporter und einem dunklen Skoda, waren am Montag um 11.18 Uhr die ersten Fahrzeuge, die offiziell über den frischen Asphalt bei Güterfelde rollen durften. Mit Tempo 100 geht es nun am Dorf vorbei. „Die Güterfelder sind froh“, sagte Ortsbürgermeister Dietrich Huckshold (Wir Vier). „Endlich wird es ruhiger.“ Trotzdem gebe es auch gemischte Gefühle: „Als es um die Streckenführung ging, hat man uns für dumm verkauft.“ Eine Umfahrung im Süden, das hatten sich viele gewünscht. Verbittert hatten deshalb etliche vergeblich über Jahre protestiert. „Aber das ist Geschichte“, so Huckshold.

Insgesamt wurden rund 42 Millionen Euro für die neue, vierspurige Straße investiert. Die fast elf Kilometer lange Ortsumgehung zählte bis Montag zu den größten Baustellen im brandenburgischen Verkehrsnetz. Drei Viertel der Bausumme wurden von der EU gefördert. Sechs Brücken wurden gebaut, Stützwände aufgestellt. Vier Rückhaltebecken sollen das Regenwasser auffangen. Die Anwohner in den Güterfelder Wohngebieten Seematen und Fichtenstraße werden durch Schutzwände vor Lärm geschützt. Um Eingriffe in die Natur auszugleichen, wurden andernorts Flächen in der Größe von zwölf Fußballfeldern entsiegelt und außerdem zahlreiche Bäume, Hecken und Grünflächen neu angepflanzt.

Gemeinsam mit Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers (BfB) hatte Brandenburgs Verkehrsminister Jörg Vogelsänger (SPD) das über die neue Schnellstraße gespannte rot-weiß-blaue Band zerschnitten. „Es ist ein wunderbarer Tag“, erklärte Vogelsänger. „Auf den haben sich viele Autofahrer gefreut, die sich bislang durch Güterfelde gequält haben.“ Für die anwesenden Kritiker des millionenschweren Straßenbauprojektes – sie hätten das Geld lieber in den Ausbau einer S-Bahn investiert – hatte der Minister nicht viel übrig: „Nicht jedes Projekt kann realisiert werden, nicht jedes Projekt ist notwendig“, sagte Vogelsänger, ehe er aus Stahnsdorf verschwand.

Schon eine halbe Stunde nach der Eröffnung rollte der Verkehr vorwiegend an Güterfelde vorbei. Wo werktags sonst ein Laster nach dem anderen durch das Dorf rumpelte, erklang plötzlich Vogelgezwitscher. „Wir freuen uns riesig“, sagte Anke Luthard beim Spaziergang. Alles vorher sei das blanke Chaos gewesen, erzählte die Güterfelderin. Sie wohnt direkt an der Straße, ebenso wie Ralf Kiekebusch: „In Güterfelde wird eine neue Etappe beginnen. Unser Leben wird sich grundlegend ändern“, meinte er. Direkt vor seinem Hof hätten sich die Lkws öfter die Spiegel abgefahren. Die Laster rollten oft bis 23 Uhr und dann wieder ab 4 Uhr. „Es wird für viele eine Entlastung.“

Susan Ehlers hingegen war hin- und hergerissen: „Ich wohne und arbeite hier“, sagte die Kosmetikerin in ihrem Geschäft. Sie sehe das mit der Umfahrung 50/50, erklärte die Blondine, um eine kurze Pause zu lassen: „Na eigentlich doch 70/30.“ Die Wohnqualität sei ihr wichtiger.

Es wird weitergehen, das sagte auch Uwe Ihlefeldt. Er betreibt in Güterfelde ein Fernsehfachgeschäft in zweiter Generation. „Aus wirtschaftlicher Sicht sehe ich viele Vorteile.“ Die Anbindung seines Ladens habe sich verbessert, nur noch zehn Kilometer trennen ihn vom Potsdamer Zentrum. Ihlefeldt hat praktisch eine eigene Auffahrt zur Schnellstraße bekommen, so ähnlich wie das Sterncenter auch. Trotzdem sei er inzwischen auf der Suche nach einem freien Laden in Potsdam, sagte Ihlefeldt. Es könnte sein zweites wirtschaftliches Standbein werden.

Inge Müller und Gerda Krause hatten da für den heutigen Tag genug Verkehr gesehen. Gemeinsam mit vielen anderen aus dem Dorf machten sich die Damen nach der Eröffnung der Straße zurück auf den Weg zu ihren Häusern. „Das mit den Lkws hat mir wirklich gelangt“, sagt Müller, während sie das Rauschen des Verkehrs hinter sich lässt. Sie will jetzt aber öfter zur Brücke kommen, um von dort den Autos zuzusehen. „Danach kann ich ja wieder nach Hause.“ Dorthin, wo es ruhig ist.

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