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Von Thomas Lähns: Auf dem Weg zur Energie-Enklave

Heizhaus Nord könnte Beelitz-Heilstätten mit Strom und Wärme versorgen / Verein erstellt Studie

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Beelitz - Herwarth Kuck kennt Beelitz-Heilstätten wie seine Westentasche. Er weiß Wege, die sich unsichtbar zwischen Ruinen, Gruben und Bäumen schlängeln. Nur mit Anlauf schafft das Auto während einer Besichtigungstour den steilen Hang hinauf zu einem ehemaligen Klinikgebäudes mitten im Wald, dessen Anblick grotesker kaum sein könnte: Statt eines Daches wachsen Bäume aus dem obersten Stockwerk. „Eine Fliegerbombe hatte das Dach im Zweiten Weltkrieg weggerissen“, sagt Kuck schulterzuckend. Stück für Stück holt sich die Natur die Häuser zurück. Andernorts ist eine Menge passiert, zum Beispiel vor dem früheren Männersanatorium: Der Platz rund um die Skulptur des russischen Sanitätsoffiziers haben Leute vom Rotkehlchen e.V., dessen Vorsitzender Kuck ist, im vergangenen Jahr beräumt und hergerichtet.

Ein spannender Gedanke des Vereins erwärmt dieser Tage die Ruinen der Heilstätten: Wenn auf dem riesigen Areal der ehemaligen Lungenheilanstalt wieder überall die Lichter angehen, könnte der Strom dafür vor Ort gewonnen werden. Auch die Wärme für die dann sanierten Gebäude könnte man hier erzeugen – im Heizhaus Nord im Herzen des Geländes. Mitglieder der „Rotkehlchen“ – unter ihnen Architekten und Ingenieure – arbeiten an einer Machbarkeitsstudie für dieses ambitionierte Projekt, mit dem auf eine über hundertjährige Tradition aufgebaut werden kann. Damit wird erneut ein kleiner Schritt zur Wiederbelebung von Brandenburgs größtem Flächendenkmal getan.

„Bereits 1902, als die Heilstätten fertiggestellt wurden, gab es diese Kopplung von Kraft und Wärme“, erzählt Rotkehlchen-Vorsitzender Herwarth Kuck. Der Rentner hat selbst als Architekt gearbeitet, heute befindet sich sein Büro in einem Flachbau an der Straße nach Fichtenwalde: Den hat sein Verein vor zwei Jahren als neues Domizil bezogen. „Die komplette Anlage war damals völlig autonom“, meint er ehrfürchtig. Mit einem Blockheizkraftwerk wurde Dampf gewonnen, der in Dampfmaschinen weitergeleitet wurde. Mittels Generatoren wurde dann Strom erzeugt. Dabei entstand auch Wärmeenergie, die zum Heizen der Gebäude, für das Badehaus, die Wäscherei und in den Küchen genutzt wurde. Bis 1994, als die Rote Armee hier abzog, sind die Maschinen in Betrieb gewesen. Im Heizhaus-Süd, das der Landkreis übernommen und mit Fördergeldern saniert hat, können sie besichtigt werden. Der Nordbau ist noch Ruine – Kuck würde ihn gern sanieren und in Betrieb bringen.

Funktionieren würde das mit einem Stirling-Motor – eine Erfindung ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert. Der wandelt nicht Dampf, sondern Hitze in mechanische Energie um, kann über Generatoren also auch Strom erzeugen. Angetrieben wird er mit der überschüssigen Wärme eines großen Ofens, der Heilstätten versorgen soll und mit Holz und anderen nachwachsenden Rohstoffen befeuert wird, „denn das ist CO2-neutral“, so Kuck. Zusätzliche Energie könnte über eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach gewonnen werden. Das alles sind Gedankenspiele, die schon weit gediehen sind, ausgerichtet auf die Zeit, wenn es hier wieder genügend Energieabnehmer gibt.

Als „Option, der wir wohlwollend gegenüber stehen“, bezeichnet Architekt Torsten Schmitz das Vorhaben. Er hat mit seiner Terra-Entwicklungsgesellschaft vor gut einem Jahr 75 Hektar und damit den größten Teil Beelitz-Heilstättens samt Bauten übernommen, das Heizhaus-Nord gehört dazu. Die Terra will die historischen Häuser sanieren und Raum für Wohnen, Gesundheitsbetriebe, Forschung und Kultur schaffen. „Die Nutzung des Areals ist erst einmal unser vordringlichstes Ziel“, sagt Schmitz. Dass sich der Rotkehlchen e.V. über die künftige Energieversorgung Gedanken macht, sieht er als Arbeitsteilung: „Wir gehen verschiedene Wege zum gemeinsamen Ziel.“ Der Verein zeige, dass auch andere an die Zukunft des Standortes glauben, so Schmitz.

Kuck und seine Rotkehlchen sind die guten Geister von Heilstätten: Mit 1-Euro-Jobbern und straffällig gewordenen Jugendlichen beräumen sie Stück für Stück das Gelände von Müll und Wildwuchs. Sie pflanzen Blumen – 80 000 waren es im vergangenen Jahr – und beschaffen Fördermittel für einzelne Projekte. Unterm Strich viel Arbeit, denn seit Jahren ist in den Anlagen nichts passiert. Stattdessen sind die Ruinen zum Mekka für Fotografen geworden. Auch die Film- und Fernsehbranche schätzt die melancholische Atmosphäre der „Silent Halls“: Zurzeit dreht der NDR hier eine Doku über den Hungerwinter 1946/47.

Die Fahrt mit Herwarth Kuck geht weiter: Immer wieder tauchen Häuschen am Wegesrand auf: Einstiege zu den Wartungstunneln, in denen einst Wärme- und Stromleitungen verliefen. Vom Heizhaus aus erstrecken sie sich als unterirdisches, 15 Kilometer langes Netz zu den Gebäuden. Kuck berichtet, dass auch hier bereits Hand angelegt wird: Die Schächte werden beräumt, um sie wieder zu nutzen – in Verbindung mit dem Heizhaus. Für die zehn Einstiegshäuschen sucht der Verein Paten, die sich um die Sanierung kümmern. Vier sind bereits gefunden worden: der Beelitzer Bauunternehmer Thomas Schielicke, Waldbesitzer Georg Hoffmann, die Stadt Beelitz und die Terra GmbH. Ein weiterer Schritt in die Zukunft von Beelitz-Heilstätten.

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