
© Nestor Bachmann
Von Thomas Lähns: Damit das Schwänzen ein Ende hat
Jeder zehnte Schüler in Brandenburg schafft den Abschluss nicht. In Beelitz gibt es eine zweite Chance
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Beelitz - Letzte Chance für Karin: Immer wieder hatte sie die Schule geschwänzt, manchmal über Wochen. Und wenn sie dann doch mal da war, ist sie aggressiv geworden. „Ich wollte meinen eigenen Kopf durchsetzen“, berichtet die 17-Jährige. Perspektiven auf Abschluss oder Ausbildung hatte die junge Frau lange Zeit keine. Doch nun will sie zurück an die Oberschule und die neunte Klasse packen - „für mich und meine Mutter“, sagt die junge Frau entschlossen. Ihr Ziel steht fest: Sie will Tierpflegerin werden.
Für den Sinneswandel verantwortlich ist das Projekt „Motivation, Unterricht, Training“ (MUT), das der Sozialträger Job e.V. zusammen mit der Beelitzer Solar-Oberschule seit drei Jahren umsetzt. Bis zu zwölf Schüler erhalten hier in zwei Klassen und in 35-minütigen Einheiten Unterricht und jede Menge Nachhilfe in Sachen Sozialkompetenz und Lebensführung. Vielen bildungsresistenten Jugendlichen haben die Lehrer und Sozialpädagogen schon zum Hauptschulabschluss verhelfen können – und manche von ihnen kehren sogar an die reguläre Schule zurück. So wie Karin. Gestern besuchte Brandenburgs Sozialminister Günter Baaske (SPD) die Einrichtung am alten Beelitzer Klärwerk.
Mehr als jeder zehnte Schüler in Brandenburg schafft laut Bildungsministerium den Abschluss nicht. Jeder davon sei ein potenzieller Sozialhilfeempfänger, so Baaske. Insgesamt 28 Projekte für Schulverweigerer gibt es im Land, die meisten werden mit EU-Mitteln gefördert. Das Land selbst stellt jährlich 3,66 Millionen Euro zur Verfügung. In Beelitz engagiert sich auch die Kommune, erläutert Kerstin Schneider vom Job e.V.: Regelmäßig stellt die Stadt Geld für die Kofinanzierung von Anschaffungen zur Verfügung. Für Konjunkturmittel werden zum Beispiel zurzeit zwei neue Räume saniert und zu Computerkabinett und Klassenzimmer ausgebaut.
„Wovon wollt ihr denn später mal leben – von Hartz IV?“ fragt der Minister die Jugendlichen. Einer antwortet spitz: „Nö, für mich gibt''s gleich Hartz 8.“ Es ist die typische Ablehnung, mit der eine Gruppe Jugendlicher Fremden erst einmal gegenüber tritt. Aber Baaske bricht das Eis, indem er in saloppen Sätzen schildert, was die jungen Leute vom Leben erwarten können. „Ein Job sollte auch Spaß machen, aber nicht jeder kann Spiele-Tester bei Atari werden“, sagt er.
Nach und nach lockert sich die Stimmung im Stuhlkreis: Bereitwillig erzählen die Jugendlichen, warum sie geschwänzt haben und was sie mal werden wollen. „Schlosser, wie mein Opa", erläutert einer von ihnen. Die Voraussetzungen bringt er eigentlich mit: Er repariert sein Moped selbst und er hat schon ein einjähriges Praktikum absolviert. „Aber du musst auch gute Noten haben: Eine Drei in Mathe und Physik ist das Mindeste“, rät der Minister.
Praktika gehören für die Jugendlichen zum Alltag: Zwei Mal im Jahr gehen sie für drei Wochen in die Betriebe. „Man muss sie Stück für Stück aufbauen“, sagt Jugend-Sozialarbeiterin Maren Zösche. Sie teilt sich die Arbeit mit drei Lehrerinnen von der Oberschule. Die einfühlsame Art der Pädagogen kommt an: Die 16-jährige Franzi zum Beispiel hatte früher nicht mal den Gang zur Schule im eigenen Ort geschafft. Heute fährt sie über eine Stunde mit dem Bus nach Beelitz. „Meine Schwester hat mich zurechtgewiesen, dass ich’s mal packen muss“, erzählt sie. Auch für sie gibt es nach den Ferien ein Wiedersehen mit ihrer alten Schule.
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