KulTOUR: Dem Fortschritt etwas voraus
„Engel und himmlische Wesen“ in Beelitzer Kirche
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Beelitz - Wie beinahe alles, so kann man auch diese Sache sehen: Entweder sind alle, die sich nicht auf „westlichem Niveau“ befinden, etwas zurückgeblieben, oder sie sind dem vermeintlichen Fortschritt voraus. In Politik und Gesellschaft ist diese bivalente Denkart längst verwirklicht, auch in der Kunst lässt sich so händeln. Wird die Ausstellung in der Beelitzer Marienkirche Progressisten dazu verführen, die Nase zu rümpfen?
Das Wildenbrucher „atelier of art“ und die Kirchengemeinde der Spargelstadt haben in den Gemäuern der Stadtpfarrkirche eine Sommerausstellung zum Thema „Engel und andere himmlische Wesen“ eingerichtet. Mit Ausnahme der Berlinerin Ellena Rempel handelt es sich durchweg um Maler, die weit im Osten wohnen, von Russland über Moldawien bis nach Usbekistan. Sogar eine Chinesin ist bei dieser „Kunst unterm Kirchendach“ vertreten. Matthias Jurke betreibt auf seinem Anwesen seit Jahren die internationale Künstlerbegegnung. Er fährt mit Hilfssendungen gen Ost, sucht dabei gezielt nach interessanten Leuten, lädt sie ein, für ein paar Wochen bei ihm zu arbeiten. Als Gegenleistung lassen die Damen und Herren stets einige Werke zurück, Bilder vor allem, auch Skulpturen oder Plastiken. So sammelt sich „Kunst aus Osteuropa“ bei ihm an. Er braucht dann nur noch zu thematisieren, fertig ist die Sonderschau.
Der Titel ist so hübsch wie treffend gewählt. Neben den „echten“ Himmelswesen, wie der Russe Peter Zwerchownik sie so naiv in seiner „Verkündigung der Maria“ im fahlen Lichte darstellt, Pawel Nikolajew ein weiteres mit Nofretete-Frisur im breiten Doppelrahmen, so zählt diese Exposition auch andere Geschöpfe dazu. Weibliche meist, ihnen sagt man ja, unter anderem, auch engelhafte Züge nach: Dmitri Ayoglu hat eine „Schlangenfrau“ abgebildet, die im diffusen Leuchten mit einem schwebenden Riesen-Ei spielt, Ayder Aleyev stilisiert eine „Krimtatarische Braut“ aus Spänen und Leim archaisch-modern, Vadim Koutsan eine Zigeunerin in beinahe klassischem Realismus. „Absolut verschiedene Stile“ sagt Jurke rechtens.
Maskiert sitzt eine Junge neben einer Alten, ihr Schweigen ist offenbar – doch für Peter Zwerchownik sind es „Tratschende“. Symbolhaft erscheint eine namenlose Frau bei Pavel Nikolajew im horizontal gegliedertem Bild neben Mini-Elefanten, während schwebende „Musikanten“ an den Stil der Renaissance erinnern. Alexej Grigoriev malte eine „Unglückliche“ eher realistisch, die Usbekin Luda Sodiqova die „Frau am Meer“ fast nach Art der Folklore. Man findet ikonenähnliche Darstellungen, genaue Porträts der Ukrainerin Olga Koutean, fallende und weinende Engel – doch am „modernsten“ wirken tatsächlich die farbintensiven Werke von Ellena Rempel, die Westlichste von allen.
Während Pfarrer Olaf Prelwitz sich mit dieser Ausstellung den Traum von einer „Offenen Kirche“ verwirklichen konnte, lenkte Matthias Jurke bei seiner Laudatio die Aufmerksamkeit auf etwas anderes. Er glaubt, dass die osteuropäische Kultur „noch das gewisse Etwas an Spiritualität bewahrt“, welche den Hiesigen fast durchweg fehle. Damit sei sie geradezu beauftragt, dem Westen „diese Dimension zurückzugeben“. Wenn man die 25 Bilder dergestalt betrachtet, wird man bald zustimmen. Diese Schau zeigt in der Tat, wo jene Maler dem imaginären Kunstfortschritt voraus sind: Durch Geistigkeit und Tradition! Und das – ex oriente lux – ist schon allerhand.
bis 9. September Montag bis Samstag 10 bis 18 Uhr, Sonntag 12 bis 18 Uhr
Gerold Paul
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