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Artefakt aus Schwielowsee: Der fabelhafte Fund der Amelie
5000 Jahre ruhte ein Steinbeil im Hochwald am Schwielowsee. Ein Mädchen fand das Artefakt beim Spielen
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Schwielowsee - Mammuthirne waren Delikatessen, Mammutblasen hat man als Trinkbehälter genutzt und Mammutzähne als Waffen. „Und abends haben die Leute am Feuer gesessen.“ Amelie kann einiges zur Steinzeit erzählen, jetzt ist noch etwas hinzugekommen: Zum Baumschlagen, zum Auswaiden von Tieren und zum Bau von Einbäumen haben die Steinzeitmenschen Schuhleistenkeile genutzt. Die Elfjährige hat so ein Beil-artiges Werkzeug gefunden, vor zwei Jahren, im Hochwald am Fercher Uferweg, als sie mit ihrer Schwester Josephine und ein paar Freundinnen aus Berlin eine Bude aus Ästen bauen wollte. Ein seltener Fund.
An einem Fuchsbau bei der Baustelle hatte ein Lehmklumpen gelegen. Amelie wollte sehen, was passiert, wenn sie ihn gegen eine Kiefernstamm wirft. Der Klumpen zerbrach, Amelies Hund Lorri kratzte daran herum. Es kam ein glatt geschliffener, ovaler, an einer Schmalseite klingenscharfer Stein zum Vorschein. Damals war Amelie nicht sicher, was es mit „dem komischen Ding“ auf sich hat. Zu Hause unterm Wasserhahn wurde noch ein Lehmstückchen aus dem Stein gespült, ein perfektes Loch mit knapp drei Zentimetern Durchmesser kam zum Vorschein. „Wie mit der Hilti gebohrt“, meinte ihr Vater.
Lange hat der Stein, der tatsächlich wie das spitze Ende eines Schuhleistens aussieht, als Deko im Wohnzimmer verbracht. Als vor ein paar Monaten die „Steinzeit“ auf dem Lehrplan stand, zeigte Amelie das Artefakt dann ihrem Geschichtslehrer im Gymnasium Hermannswerder. „Boah ey“, habe der ausgerufen. Danach schickten ihre Eltern ein Foto des Steins ans Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin. Das Museum kontaktierte die Kollegen in Brandenburg, am Donnerstagabend war Kai Schmahlfeldt vom brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege vor Ort. Er bestätigte: Es handelt sich um einen vermutlich 4500 bis 5000 Jahre alten Schuhleistenkeil.
Das Besondere: Das Beil war nicht ganz fertig. Es ist offenbar ein „Ausschussstück“ und wurde nie benutzt. Wahrscheinlich bei der Bearbeitung – zum Bohren kam übrigens ein in einen Bogen gespannter Steinbohrer zum Einsatz – platzte der Stein an einer Seite etwas ab. Für den jungsteinzeitlichen Handwerker, meint Schmahlfeldt, könnte klar gewesen sein, dass der Stein mit diesem Makel kaum einzutauschen ist. Trotz tagelanger Arbeit. Wenn das Material schon bei der Bearbeitung schwächelt, wie soll es sich im Einsatz beweisen? Der Stein ist somit vielleicht ein Zeugnis, welch hohe Qualitätsmaßstäbe schon mit der beginnenden Spezialisierung der Jungsteinzeit gegolten haben. Genau wisse man es nie, sagt Schmahlfeld. „Wir waren ja nicht dabei.“
Die Hütte, die Amelie damals mit den anderen Mädchen im Wald gebaut hat, steht noch. Sie passt mit ihrem Blechteller-Wandschmuck, der von Weitem in der Abendsonne wie die Himmelsscheibe von Nebra blinkt, zu einer solchen Fundstätte. In der Zeit, als das Werkzeug entstand, mochten ähnliche Behausungen armen Leuten gedient haben, meint Schmahlfeldt. Nur Metall gab es noch nicht. Die Menschen begannen, sesshaft zu werden, lebten schon in mit Flechtwerk und Lehm verkleideten Pfahlhäusern, beschränkten sich nicht mehr auf die Jagd, das Früchtesammeln und Fischen im Schwielowsee.
Sie begannen, Getreide – Dinkel und Emmer – anzubauen. Der Bereich entlang des Baruther Urstromtals sei ein interessanter Siedlungsraum in dieser Zeit gewesen. Gegenden am Wasser wurden bevorzugt bewohnt, auch an der Potsdamer Havel. Besonders in Phöben würden immer wieder prähistorische Funde gemacht, sagt Schmahlfeldt. Doch auch für Ferch ist der Fund keine Premiere.
Abgesehen von mittelalterlichen und slawischen Kostbarkeiten wurde vor gut 100 Jahren bei der Seeentschlammung – am Ufer unterhalb der aktuellen Fundstätte – ein größerer archäologischer Schatz geborgen, der laut Schmahlfeldt inzwischen verschollen ist. Unter jenen mittelsteinzeitlichen Stücken der sogenannten „Sammlung Stimming“ sollen Knochenharpunen gewesen sein.
In den 1960er-Jahren sei in Ferch schon einmal ein Schuhleistenkeil gefunden worden, der aber verschwand, bevor die Archäologen ihn zur Forschung, Katalogisierung und Archivierung sichern konnten. Vor wenigen Jahren dann wurde beim Bau einer Abwasserleitung ein jungsteinzeitliches Walzenbeil zutage gefördert. Solche Funde müssen dem Gesetz nach gemeldet werden, sie sind Landeseigentum.
Immerhin gibt es für Amelie eine kleine Gegenleistung: Sie wird demnächst noch viel viel mehr über die Steinzeit und die Archäologie erfahren. Kai Schmahlfeldt hat sie zu einer exklusiven Führung ins Archäologische Landesmuseum im Paulikloster von Brandenburg (Havel) eingeladen. Ob bis dahin Amelies größter Wunsch erfüllt wird, ist noch offen: Sie hätte gern gesehen, dass ihr Schuhleistenkeil dort ausgestellt wird. Und dann besteht noch die Chance, dass das Fercher Beil demnächst in einem Kinderfilm wieder auftaucht: Amelies Eltern, Saskia Kuipers und Manfred Beger, sind beide Drehbuchautoren.
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