Potsdam-Mittelmark: Deutsche Albtraum-Wiese
Ein Koreanisch-deutsches Künstler-Trio eröffnet heute die Töplitzer Ausstellungssaison
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Werder · Töplitz - Im Dachgebälk der Töplitzer Galerie lassen zwei „Manneken Pis“ ihr Wasser. Sie sind allerdings keine Leihgaben aus Brüssel, sondern ganz aktuelle Arbeiten des jungen koreanischen Bildhauers Young Jin Song. Sie entstanden als Reflex auf ein ihn drängendes Problem. Als er vor zwei Jahren nach Deutschland kam, vermisste er recht schmerzlich öffentliche Toiletten, die es in seiner Heimat an jeder Ecke gibt. Beim künstlerischen Gestalten seines Plädoyers für mehr Notdurfteinrichtungen auch im deutschen Land war indes nicht das belgische Wahrzeichen die Inspiration, sondern der Atlas tragende Herkules aus Griechenland.
Auch in seinen anderen Arbeiten, die ab heute in der Auftaktausstellung 2008 der Töplitzer Galerie zu sehen sind, kehrt Young Jin Song seine Gedanken in ungenierter Offenheit augenzwinkernd zur Schau. So befindet sich auf dem Kopf einer zerschlagen am Boden liegenden Gipsfigur ein kleiner Drehschemel. Darauf thront ein noch kleineres Gehirn, von dem nur die eine Hälfte Windungen zeigt. „So fühle ich mich, wenn ich Deutsch sprechen lerne“, sagt er lächelnd. Auf seiner Albtraum-Wiese rundherum haben sich noch viele andere Gestalten niedergelassen, ein Penner vor einer Parkbank, ein Bier trinkender Franziskaner-Mönch, mehrköpfige Wesen und Maskenköpfe. Diese Arbeit sei für ihn wie ein Tagebuch gewesen, alle neuen Eindrücke formte er in kleine Figuren. Dass der 29-jährige Student der Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg schon lange kein Anfänger mehr ist, zeigt auch seine zweigestaltige Plastik aus Terrakotta. In diesem „Selbstbildnis“ bearbeiten sich zwei Bildhauer gegenseitig, Schöpfer und Material im Zwiegespräch. Jeder gibt und nimmt vom anderen. Bereits an der Universität der Künste in Seoul lernte Young Jin Song sieben Jahre den Umgang mit den verschiedensten Materialien, immer nach bestimmten Aufgabenstellungen. Jetzt in Hamburg kann er frei entscheiden, was er mit diesem Wissen macht. Es scheint förmlich aus ihm heraus zu sprudeln.
Bei ihrem „Frischfleischfang“ an der Hamburger Kunstschule entdeckte Marianne Kreutzberger vom Töplitzer Havel-Land-Art-Verein auch Ludwig Missall. Der 26-jährige Schleswig-Holsteiner füllt mit Stillleben und Porträts die Backsteinwand. Dabei überrascht er mit spannenden Spiegelungen und Glasverzerrungen. „Gegenstände haben für mich auch Persönlichkeit, deshalb ist es gar nicht so verschieden, ob ich Gefäße oder Menschen male.“ Das Licht wirft bei beiden seine Schatten. Auch bei seiner Schwester Irmgard, in deren Gesicht Ludwig Missall eine charaktervolle Tiefe und Nachdenklichkeit legte. Man spürt die große Nähe, die er detailgenau und doch auch mit der nötigen, großzügigen Geste in dieses Bild hineinarbeitete.
Ihm gegenüber nimmt Markus Winkler mit seinen Bildgeschichten die Wand ein: leider hinter unverspiegeltem Glas. Feinsinnig und skurril erzählt er von Robald Knirsch die Geschichte eines Knackers, die an Pinocchios Auszug in die große, garstige Welt erinnert. Der 37-jährige Lausitzer Künstler hat sich bereits seinen Platz auf dem Kunstmarkt gesichert: als spöttelnder Karikaturist, findiger Wortverdreher und auch als ganz bodenständiger Aquarellist, dem der Blick in die Natur offensichtlich den freien Atem für seine entlarvenden Gesellschaftssatiren gibt. „Entkunft zerkörpert“, schrieb der Wortdrechsler in seiner comicartigen Malgeschichte. Wohl nicht nur für Young Jin Song eine schwer zu knackende Nuss. Heidi Jäger
Eröffnung heute um 17 Uhr in der Galerie Töplitz am Dorfplatz. Zuvor gibt es um 16 Uhr ein Konzert in der Dorfkirche nebenan. Es spielt das Duo Karina & Julia Suslov Werke von Bach, Mozart, Paganini und Kampanioli.
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