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Von Henry Klix: Die Bürger vergessen

In Plessow wird unangekündigt ein 55 Meter hoher Sendemast gebaut / Jetzt wird Information nachgeholt

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Werder (Havel) - Es gilt als eines der größten technischen Modernisierungsvorhaben in Deutschland: In den nächsten Jahren soll der neue Digitalfunk für Polizei und Rettungswesen eingeführt werden. Allein in Brandenburg werden laut Innenministerium 160 Funkmasten für das BOS-Netz gebaut (BOS: Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben). Ein Großteil ist genehmigt oder steht schon, so Ministeriumssprecher Geert Piorkowski. Ab dem Jahr 2012 soll die Polizei die Technik nutzen, ab 2013 Feuerwehren und Rettungdienste.

Im beschaulichen Plessow begannen die Bauarbeiten für den BOS-Mast vor gut zwei Wochen, wie sich Einwohner erinnern. Niemand wusste von dem Projekt. Lastwagen fuhren die Straße Zum Weinberg rauf und runter. In Sichtweite der Kirche und in Nachbarschaft zum Sportplatz der Zollschule wurde geschachtet, Löcher für vier Betonpfähle gebohrt. „Für eine neue Flutlichtanlage war das Fundament ein bisschen groß“, so Willi Leo. Erst durch Nachfragen bei Behörden bekamen die Plessower mit, dass am Ortsrand ein 55 Meter hoher Sendemast gesetzt wird, doppelt so hoch wie die Kirche. Am Freitag kam es zu einer spontanen Demonstration gegen die Anlage (PNN berichteten).

Willi Leo war dabei. Seit 22 Jahren lebt er mit seiner Frau im Haus, das den Turm auf der anderen Straßenseite vor die Nase gesetzt bekommt. Jetzt hat er Angst um seine Geflügelzucht: Japanische Seidenhühner, Holländer, Pfauen und Wachteln, das weiß er von Berichten anderer Züchter, macht die elektromagnetische Strahlung unruhig. Dana und Michael Haseloff haben im Abstand von vielleicht 30 Metern zur Turmbaustelle erst vor zwei Jahren ihr neues Haus gebaut, jetzt sammeln sie Unterschriften. Dana Haseloff ist hochschwanger: „Wenn man im Internet die Sachen über elektromagnetische Strahlung liest, bekommt man Angst.“ Nicht nur sie wundert sich, dass ein solches Bauwerk gebaut werden kann, ohne die Bürger zu fragen. „In der Zollschule soll es vor einem Jahr eine Informationsveranstaltung gegeben haben“, so der Plessower Dirk Lutze „An die Bürger hat man nicht gedacht.“ Lutze fordert einen anderen Standort.

Ortsvorsteher Siegfried Frömling (CDU) erklärt auf Anfrage, dass im Amtsblatt – wenn auch kurz – voriges Jahr informiert wurde. Der Ortsbeirat habe den Mast sogar abgelehnt – ohne Erfolg. „Die Stadt kann nur Einwände erheben, wenn das im Widerspruch zu bestehenden Planungen steht“, so Frömling. Das bestätigt Werders Bürgermeister Werner Große (CDU): „Wir dürfen unser Einvernehmen nicht grundlos verweigern, es gab keine Versagungsgründe.“ Bei einem Sonderbauvorhaben wie diesem sei der Widerstand noch schwerer. Für die Furcht vor Gesundheitsschäden sieht Große aber keinen Anlass. „Wir haben solche Funkstationen auch in den Havelauen oder im Wachtelwinkel und in der Glindower Kirche.“

Auch im Innenministerium ist man um Schadensbegrenzung bemüht: „Was die Strahlenwerte angeht, bewegen wir uns unterhalb der EU-Grenzwerte und sogar weit unter den strengeren Schweizer Normen“, so Ministeriumssprecher Piorkowski. An einen neuen Standort für den Turm sei nicht zu denken. „Für die Funktionsfähigkeit des Netzes ist er dort unverzichtbar.“ Das BOS-Netz soll die Kommunikation zwischen Polizei und Rettungskräften der Länder möglich machen – auch den Datentransfer, etwa von Fahndungsfotos. Technisch basiert es auf dem Terta-Standard – kein anderer soll so sicher, netzstabil und leistungsstark sein, wirbt die Bundesanstalt für Digitalfunk.

Eines haben die Plessower erreicht: Heute um 19 Uhr im Anglerheim wird informiert: Neben dem Ortsvorsteher werden sich Vertreter des Ministeriums und des Rathauses den Fragen stellen.

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