Potsdam-Mittelmark: Die Landärztin
Eva Schulze-Köhn zieht von Berlin nach Bad Belzig, um eine Praxis zu übernehmen. Mit Anreizen buhlen die Regionen um die begehrten Fachkräfte.
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Bad Belzig - Vor den großen Fenstern des Behandlungszimmers grünt es auf allen Seiten. Es ist ruhig, kein Straßenlärm stört das Gespräch. Eva Schulze-Köhn setzt sich auf ihren Rollhocker, ihr Blick ist aufmerksam, die Körperhaltung zugewandt. Warum sie sich im Gegensatz zu vielen anderen jungen Ärzten für eine Praxis auf dem Land entschieden hat? „Es gab mehrere Gründe“, sagt die 38-Jährige. „Einer davon ist sicher die Naturnähe. Ich liebe diese Region, in der ich ja auch aufgewachsen bin.“ Schulze-Köhn ist im nahe gelegenen Belziger Kreiskrankenhaus geboren und in Brück aufgewachsen. Nach dem Abitur ging sie zum Medizinstudium nach Magdeburg, nahm später eine Stelle in einer Klinik in Wittenberg an. Seit knapp eineinhalb Jahren arbeitet sie nun als Allgemeinmedizinerin in der Praxis von Marita Stuhlmann in der Niemegker Straße in Bad Belzig.
Im Regal des Behandlungszimmers stehen zwei Ärztinnen-Holzfiguren. „Die hat ein Patient uns aus dem Erzgebirge mitgebracht“, sagt Marita Stuhlmann, die aktuell noch Praxisinhaberin ist. Die 63-jährige Allgemeinmedizinerin ist seit 1993 in Bad Belzig ansässig. Einen Großteil der Patienten kennt sie seit vielen Jahren, da sei das Verhältnis teilweise „schon fast familiär“. Schulze-Köhn mag den persönlichen, herzlichen Umgang in der Praxis – sowohl mit den Patienten als auch unter Kollegen. „Nach manchen Terminen tut es gut, sich kurz auszutauschen“, sagt sie. In der Klinik sei dafür selten Zeit geblieben. Dort gab es täglich mehr Arbeit, als sie schaffen konnte.
Potsdam-Mittelmark ist mit Ärzten vergleichsweise gut versorgt
Im Gegensatz zu vielen Regionen im Nordosten Brandenburgs gehört Potsdam-Mittelmark nicht zu den Gebieten mit drohender ärztlicher Unterversorgung. Der Mittelbereich Bad Belzig ist laut Berechnung der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg sogar überversorgt. Das heißt, es gibt derzeit mehr als genug Ärzte und dementsprechend keine finanzielle Förderung des Landes Brandenburg für den ärztlichen Nachwuchs. In unterversorgten Regionen können Ärzte, die sich dort niederlassen möchten, beim Land Zuschüsse beantragen oder erhalten Umsatzgarantien. Bad Belzig und andere Regionen in Potsdam-Mittelmark können bisher nur mit weichen Faktoren wie eben der Naturnähe locken. Ob das in den kommenden Jahren noch reicht, wird sich zeigen: Das Durchschnittsalter der Mediziner im Mittelbereich Bad Belzig liegt bei 54,9 Jahren, mehr als ein Drittel von ihnen sind über 60 Jahre alt. Viele dürften darum bereits an ihren Ruhestand denken.
Das tut zumindest Marita Stuhlmann. Einen Nachfolger für ihre Praxis zu finden habe sich jahrelang allerdings alles andere als einfach gestaltet – „bis Eva kam“, sagt sie. „Der letzte Kollege, mit dem ich es versucht hatte, hat die Facharztausbildung noch mit Bravour bestanden, dann ist er zurück nach Berlin gegangen“, erinnert sich Stuhlmann. Eva Schulze-Köhn hingegen vollzieht gerade die Gegenbewegung. Sie hat seit Antritt ihrer Belziger Stelle mit ihrem Mann, ihren eigenen zwei und seinen zwei Kindern in Berlin gelebt. In Kürze aber zieht die gesamte Familie nach Bad Belzig. Die regelmäßigen Hausbesuche und 24-Stunden-Bereitschaftsdienste waren zusätzlich zu den Pendelzeiten kaum zu schaffen. „Ich bin meinem Mann sehr dankbar, dass er mich dahingehend unterstützt.“
„An einem Tag musste ich per Handy meinem Kollegen Anweisungen geben, während ich auf dem Weg zu einer Reanimation war“
Im kommenden Jahr soll noch eine zweite neue Ärztin in der Praxis anfangen. Wenn Marita Stuhlmann sich in den Ruhestand verabschiedet, muss Schulze-Köhn also nicht die gesamte Praxis allein stemmen. „Das könnte ich mir auch nicht vorstellen“, sagt die 38-Jährige. Nach ihrem Studium in Magdeburg arbeitete sie einige Jahre in einer Klinik in Wittenberg. Als dort die Abteilung für Palliativmedizin wegbrach, war das für sie der Moment, in dem sie endgültig nach etwas Neuem Ausschau hielt. Für sie war klar, dass sie weiter in der Palliativmedizin arbeiten wollte, derzeit absolviert sie in diesem Bereich eine Weiterbildung. Mit der hohen Arbeitsbelastung war sie außerdem schon länger unzufrieden, ständig hatte sie das Gefühl, sich zwischen mehreren Tätigkeiten zerreißen zu müssen. „An einem Tag musste ich per Handy meinem Kollegen auf der Station Anweisungen geben, während ich auf dem Weg zu einer Reanimation war“, sagt die Ärztin.
Die Arbeitszeiten sind in ihrer neuen Stelle nicht kürzer geworden, das stellt Schulze-Köhn gleich klar. „Aber es ist ein dankbareres Umfeld.“ Nach sechs Stunden Sprechstunde fahren Marita Stuhlmann oder Eva Schulze-Köhn teilweise noch 20 Kilometer mit dem Auto, um einen Hausbesuch zu machen – eine Vergütung für die Fahrzeit gibt es von den Krankenkassen nicht. „Das ist für manchen Kollegen, der die Arbeit in einer städtischen Hausarztpraxis gewöhnt ist, unvorstellbar“, sagt Stuhlmann. Und für manchen jungen Kollegen wohl auch ein Grund, sich gegen eine Praxis auf dem Land zu entscheiden. Aber die Ärztinnen bleiben optimistisch, was den Nachwuchs angeht. „Seit Eröffnung der Medizinischen Hochschule Brandenburg vor drei Jahren sind wir Lehrpraxis“, sagt Stuhlmann. Ein Student absolviert regelmäßig Praktika bei ihnen. Vielleicht wird auch er eines Tages Landarzt.
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