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Von Peter Könnicke: Die letzte Konstante geht

Ein Vierteljahrhundert war Jürgen Voigt Schuldirektor in Teltow. Jetzt schreibt er an der Abschiedsrede

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Teltow - Vor etwas mehr als 20 Jahren hat Jürgen Voigt ein Haus gebaut. Kein gewöhnliches: vier Stockwerke, lange Flure, dutzende Zimmer, ein Mehrgenerationenhaus. „Es war zu DDR-Zeiten typisch, dass die künftigen Leiter einer Schule auch am Bau des Gebäudes mitwirkten“, sagt Voigt. Und er sollte nunmal Direktor der Schule werden, die 1988 in Teltows Neuer Wohnstadt gebaut wurde, eines der letzten typischen Plattenbauviertel des DDR-Wohnbauprogramms. „Ich habe das Haus vom ersten Spatenstich an begleitet“, resümiert Voigt die Geschichte der heutigen Mühlendorf-Oberschule.

Gestern ist er ausgezogen. Nach einem Vierteljahrhundert Direktoren-Dasein ist Schluss. Er habe die Gedanken, wie es sich anfühlen mag, kein Lehrer mehr zu sein, lange von sich geschoben. „Aber Weihnachten kam es mit aller Macht“, gesteht er. „Seitdem schlafe ich schlecht.“ Er denkt an die Rede, die er Ende des Monats zu seiner offiziellen Verabschiedung halten will. Vielleicht wird er erzählen, wie es dazu kam, dass er Lehrer wurde, und womöglich werden seine Schüler belustigt hören, dass sein 10.-Klasse-Zeugnis zu schlecht war für ein Elektro-Ingenieursstudium, das er gern begonnen hätte.

Jürgen Voigt hatte nach dem Schulabschluss als Elektriker im Bergbau gearbeitet, wie es Tradition war im Revier zwischen Hohenmölsen und Zeitz. Auch sein Vater hatte Elektriker gelernt, auf einem U-Boot der Kriegsmarine, später wurde er Ingenieur. Jürgen Voigt indes wurde Lehrer: An der Universität in Halle wurden Studenten für den Polytechnischen Unterricht gesucht, er fühlte sich angesprochen: Wenn schon keine Elektro- dann immerhin Polytechnik. In der Praxis hieß das, Schülern Werken und Technisches Zeichen beizubringen, ihnen die Einführung in die sozialistische Produktion - kurz ESP - zu erklären und sie in Wissenschaftlich praktischer Arbeit zu unterrichten.

Voigt hat kein Problem mit der Schul-Zeit der DDR. „Politisch war das nicht gut“, sagt er. „Aber inhaltlich gibt es vieles, was man in die heutige Zeit hätte retten sollen.“ Bildung, befindet er, dürfe kein parteipolitischer Dauerstreit sein und „nicht mit jeder neuen Koalition neu erfunden werden“. Wenn es in kürzester Zeit drei verschiedene Bildungsprogramme gibt, mache das Bildung kaputt. „Und wer permanent an der Bildung spart, muss sich nicht wundern, wenn man Geld für den Bau von Gefängnissen ausgeben muss.“

Das sind harte Worte, die Voigt mit einem schwachen, weichen sächsischen Akzent spricht, der noch immer seine Herkunft verrät, obwohl er schon seit Jahrzehnten im Brandenburgischen lebt. Seine erste Lehrerstelle hatte er in Premnitz, sein Zimmer im Stallgebäude eines Bauernhofes, in dem es kein Wasser gab, aber ständig nach Jauche stank. Er hat sich hoch bis zu DDR-Bildungsministerin Margot Honecker beschwert, um endlich eine anständige Unterkunft zu bekommen. 1978 kam er ans Weinberg-Gymnasium nach Kleinmachnow, das damals noch Erweiterte Oberschule hieß. Nach einem Jahr übernahm er die Leitung des zur Schule gehörenden Internats. Dann wurde er Direktor der Schleusen-Schule, bis diese 1988 geschlossen wurde. Es war ein stückweit Voigts Verdienst, dass sein Lehrer-Kollegium komplett an die neue Schule nach Teltow wechselte. „Ich war mit dieser Bedingung beim Schulamt vorgeprescht“, erklärt er den kollektiven Umzug.

Beständigkeit war Voigt wichtig. Es war für seine Schule lange Zeit von Vorteil, dass er Unterrichtsinhalte und pädagogische Konzepte mit einem festen Kollegen-Stamm entwickeln konnte. „Das geht nie allein, immer nur miteinander,“ sagt er. Heute ist das – vor allem im Land Brandenburg – schwieriger: Unbefristete Verträge, ein – im Vergleich zu anderen Bundesländern – schlechtes Gehalt machen den Arbeitsantritt junger Lehrer an der Mühlendorf-Oberschule lediglich zur Zwischenstation. „Junge Pädagogen wandern massenhaft aus Brandenburg ab“, weiß Voigt und belegt das aus eigener, leidiger Erfahrung. „In den letzten vier Jahren wurde das Kollegium an meiner Schule zweimal komplett ausgetauscht.“ Bindung und Identifikation seien so schwer zu schaffen.

Mit Voigt verlässt nun die letzte Konstante das Haus. Dass nach dem Schul-Sterben in der regionalen Schullandschaft in den vergangenen Jahren die Mühlendorf-Oberschule übrig blieb, hat auch damit zu tun, dass sich Voigt selbst treu geblieben ist. „Ich habe schon als 16-Jähriger in unserem Jugendklub Verantwortung übernommen“, sagt er. Er hatte die Schüler-Klientel der eher sozial schwachen Bevölkerungsstruktur im Blick, als sie vor einigen Jahren begannen, die Schule mit einer speziellen Integrationsausrichtung zu profilieren. Den Ruf seiner Schule als Auffangbecken schwacher und schwieriger Schüler kennt Voigt, gleichwohl weiß er es besser. „Wir sind nicht zuletzt wegen unserer sozialen und berufsorientierenden Projekten sehr erfolgreich bei der Integration unserer Schüler“, sagt er.

Auf den Schulfluren spiegelt sich das durchaus wieder: keine Schmierereien an den Wänden, stattdessen Bilder, die Türen makellos, „Toiletten wie im Interhotel“, wie eine Journalistin einmal notierte und Voigt es gern zitiert. Er zeigt auf eine Wand aus Rigips, die zwei Besprechungszimmer voneinander trennt, auf Holzverkleidungen an Decken, auf Leitungsschächte für Kabel und Rohre: „Hab ich alles zusammen mit Schülern selbst gemacht.“ Der Schul-Bau wird ihm fehlen.

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