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Mauermalerei. Frauke Schmidt-Theilig am Porträt von Heiner Müller.

© Tobias Reichelt

Potsdam-Mittelmark: Die Mauer muss weg

Künstler haben 146 von 164 früheren Mauerteilen bemalt – um sie zu verkaufen

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Teltow - Frauke Schmidt-Theilig steht vor einem überdimensionalen Porträtbild. Der vor ihr auf den nackten Beton gemalte Mann hat seine Stirn in Falten gelegt, die Augen blicken durch eine dunkle Hornbrille. Er lächelt und die Malerin lächelt ihrem Werk zurück. Es sind die Gesichtszüge von Heiner Müller, einer der bedeutendsten deutschen Dramatiker, die Frauke Schmidt-Theilig in Teltow auf ein altes Mauerstück gemalt hat, das einst Ost- von Westdeutschland trennte. „Das ich hier stehe und die Mauer bemalen kann, ist ein schöner Augenblick“, sagt die 55-Jährige. Doch viel Zeit zum Genießen bleibt ihr nicht.

Seit Anfang des Jahres sind große gelbe Bagger an den Teltower Mauerpark herangerückt. In Vorbereitung zum Bau eines Stadthafens haben sie bereits rund 6000 Quadratmeter Beton aus dem Boden am Ufer des Teltowkanals geholt und zu kleinen Teilen geschreddert. Damit den Mauerteilen nicht das gleiche Schicksal ereilt, sind Künstler aufgerufen, auch die letzten freien Betonstelen zu bemalen und an Käufer zu vermitteln. Denn schon im Herbst könnte mit dem Bau des Hafenbeckens begonnen werden und der Platz für den Mauerpark weiterschrumpfen.

Von insgesamt 164 Mauerteilen seien derzeit 146 an Künstler vergeben, sagt Elmar Prost. Er ist der Besitzer der Teltower Betonteile, die nach der Wende in das Lager der früheren Klösters Betonwerke am Teltowkanal wanderten. Als Klösters wegzog, ließ Prost die Teile schon vor einigen Jahren an der Oderstraße aufrichten, damit sie nach dem Vorbild der „East-Side-Gallery“ in Berlin bemalt werden können.

Schnell nahmen sich die ersten Künstler der Mauerteile an. Neben Heiner Müller blicken heute unter anderem auch Nelson Mandela oder Willy Brandt von den Betonteilen herab. Auf anderen sind einige der schrecklichsten Despoten der Welt zu sehen, daneben aber auch gemalte Werbeschriftzüge.

Seit auch Künstler wie der für seine schon in Berlin auf die Mauer gemalten runden, glubschäugigen Köpfe bekannte Thierry Noir begannen, einige der Teltower Stelen zu verschönern, finden sich weltweit Käufer. Die Teltower Betonteile wurden nach Korea, New York, Tokio oder Österreich verkauft. Auch die Stadt Teltow hatte wie berichtet überlegt, einige der von Künstlern bemalten Stücke zu erwerben. Aus Kostengründen wurde die Idee wieder verworfen.

Denn namhafte Künstler können am Verkauf der Teile ganz gut verdienen. Erst vor ein paar Wochen sei ein bemaltes Mauerstück für 4000 Euro nach Klaistow verkauft worden, sagt Elmar Prost. In einem solchen Fall wird er am Gewinn beteiligt. Im Normalfall liege der Preis aber niedriger: Für 500 Euro kann ein blankes Betonstück erworben werden.

Weil sich bunte Mauerteile jedoch besser verkaufen, macht Prost ein Angebot: Jeder, der will, kann die Betonstelen kostenlos für ein halbes Jahr nutzen. Was in der Zeit damit passiert, sei der Freiheit der Künstler überlassen. Ob schwarz gemalt oder bunt, ob mit Schmetterlingen oder einfach blank. Wenn ein Interessent Gefallen an dem Werk findet, kann es gekauft werden.

Weil sich herumspricht, dass in Teltow noch Mauer zu haben ist, trudeln bei Prost regelmäßig Künstleranfragen ein. Bald werden auch die letzten freien Mauerteile vergeben sein, sagt er.

Künstlerin Frauke Schmidt-Theilig hat sich gleich zwei Betonriesen gesichert. Beide will sie Heiner Müller widmen. Zu sehr genießt die 55-Jährige die Erinnerungen an Müller und seine Rolle beim Fall der Mauer, sagt sie. Seine Rede im November 1989 auf dem Alexanderplatz in Berlin habe sie sehr bewegt.

Wer sich wie die Teltower Künstlerin auf einem der letzten freien Mauerteile verewigen will, sollte sich beeilen: Spätestens in zwei Jahren wird die Galerie gänzlich verschwunden sein, sagt Elmar Prost. Dann werden die Bagger auch das Grundstück in Angriff nehmen, auf dem noch der Mauerpark steht. Alle Mauerstücke, die bis dahin noch nicht verkauft wurden, sollen dann geschreddert werden. Tobias Reichelt

www.mauerteilebemalen.de

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