KulTOUR: Die Seele will reisen
Filigrane Land-Art von „Polska“ in der Galerie pro Arte in Caputh
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Schwielowsee - Freiheit gehört zum modernen Kunstbegriff wie die Farbe zum Malen. Wo immer die Kunst sich eingeengt fühlt, flieht sie ins Weite. Das war bei den Naturalisten so, bei den Sezessionisten, das führte in den Sechzigern zur Land-Art, in den USA als Protest gegen den Galerienkult verstanden. Diese Spielart unter den Angewandten beschreibt ihr Credo in aller Kürze mit „Arbeiten in der Natur mit der Natur“, sie lässt aus Baum und Borke, aus Stein und Rinde, Rute, Gras und Metall mehr oder weniger große Formen entstehen, welche wieder retour in Haus, Hof, Garten, oder in die Natur gebracht werden.
Wie der Proporz von Dekorativem und Kunst sei, ist den gut organisierten operierenden Künstlern eigentlich schnurz, man lädt sich gegenseitig ein, die eigenen Kunst-Akkus dabei auf, und verbreitet so ganz unauffällig das eigene Werk in der Welt. Trotz Offener Ateliers und Kunst-Touren war diese oft zur Schwerelosigkeit neigende Land-Art in Caputh bisher nicht vertreten. Nachdem Siegrid Müller-Holtz bei einem Kulturaustausch Berlin-Paris die längst international operierende Land-Art-Künstlerin Polska kennen- und schätzen gelernt hat, soll sich das ändern. Wie zum Eingewöhnen stellt die temperamentvolle Pariserin mit urur-polnischen Wurzeln und einem Echtzeit-Namen, den sie niemandem verrät, am Wochenende im Caputher Atelier Pro Arte, aus.
Was sie da so biegsam und schmiegsam aus Frankreichs Metropole importierte, ließ sich bequem in Koffern tragen und im Hause Müller-Holtz flugs wieder zusammenbauen. Ein Segen für die gelernte Bildhauerin, denn ihr wurde es immer schwerer, mit Stein zu arbeiten. Weidenrute, Japan-Papier und Fundstücke der unterschiedlichsten Art führten sie ja fast schwerelos dorthin, wo es um die entscheidende Frage dieser Exposition geht: „phasme or fantasm?“
Polska baut fast seriell große und kleine Einbäume mit und ohne Dekor, „Pirogen“ genannt. Bei ihren transkontinentalen Reisen traf sie diese „sehr femininen Formen“ überall an, in Amerika, Indien, China, Japan und in Afrika. Es sind länglich-ovale Formungen, mit und in denen die charmante Französin gleichsam ihre Seele auf Reisen schickt. Aus Sicht der Romantik ist dieses „voyage! voyage!“ sogar eines jeden Seelchens erste Pflicht. Nun gibt es in Polskas luftiger Poetologie neben den vieldeutigen Pirogen ein Nochetwas – dieses „Phasme“ nämlich. Was genau das sein mag, ist schwer herauszufinden, irgendein kleines Insekt, welches sich wohlmöglich in Erdbeeren versteckt. Oder etwas mit der Fähigkeit, wie ein Langbein-Kerf zu erstarren, als sei es Zweig und Geäst. Oder ist „Phasme“ nur das Kürzel für Phantasmagorie, für bloße Vorstellung? Hier ist die Phantasia am Werk, sie verleiht die Flügel!
Kommen nun Piroge und Phasme zusammen, so addiert sich das zur Gestalt eines stelzigen Tipi, eines afrikanischen Speerschilds oder melanesischen Langbootes – immer dabei die Seele! Schöpfungen solcher Art findet man mal in Ateliers, vergrößert auch inmitten der Natur. Sie sind ja Modell und Original in einem – und deshalb so vielseitig in ihrer Land-Art! Und wenn nun ein so filigranes Objekt doch mal vom Feuer gefressen, vom Wasser zerweicht wird? Dann, antwortet Polska lachend, „baue ich mir eben ein neues“. Ihre leichte Art, mit solchen Fragen umzugehen, ist neben Phasme und Einbaum das Dritte, was man ab morgen im Hause Müller-Holtz „erfahren“ kann, die personengebundene Freiheit! Bon voyage denn!
23. April von 15 bis 20 Uhr, 24. und 25. April 13 bis 17 Uhr. Weinbergstr. 20
Gerold Paul
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