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Durchgehalten. Zum Ende des Berliner Volksbegehrens gab es Hilfe aus Brandenburg. In den letzten Wochen war es andersrum.

© israel

Potsdam-Mittelmark: Die Unterschrift leicht gemacht

Die Bürgerinitiativen für ein Nachtflugverbot stehen offenbar vor einem Sieg. Das Volksbegehren war besonders in der Endphase von Hunderten Ehrenamtlichen generalstabsmäßig organisiert – und wurde auch von Berlinern unterstützt

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Potsdam / Kleinmachnow - Volksbegehren für ein Nachtflugverbot am neuen Hauptstadtflughafen BER: Wenige Tage sind es noch bis zum Ablauf der Frist. Vor dem Potsdamer Rathaus steht Christine Laslo mit einem Bündel Flyer in der Hand: „Ich bin froh, wenn es geschafft ist“, sagt sie. Laslo hat im vergangenen halben Jahr einen Großteil ihrer Freizeit damit verbracht, Flyer zu verteilen, Menschen vor Rathäusern anzusprechen und um Unterschriften zu werben. „Etwa 100 Stunden freiwillige Arbeit waren das“, schätzt sie. Müde sieht die Kleinmachnower Unternehmensberaterin trotzdem nicht aus, der Erfolg beflügelt.

Seit dem 3. Juni hatten die Brandenburger Zeit zu unterzeichnen, und es sieht so aus, als wenn das Volksbegehren aufgeht: Nach „vorsichtigen Hochrechnungen“ von Matthias Schubert von der Initiative „Kleinmachnow gegen Flugrouten e.V.“ wurde die Zielmarke von 80 000 Unterschriften am Wochenende überschritten. Offiziell endet das Volksbegehren am heutigen Montag um 16 Uhr. Das Ergebnis wird am Abend vom Landeswahlleiter bekanntgegeben. Für die Wahlparty in Teltow hat Schubert schon Freddie Mercury bereitgelegt. „We are the Champions.“

Offizielle Zahlen wurden nur zur Halbzeit herausgegeben – Anfang September sah es noch nicht so gut aus: Landesweit waren 27 000 Stimmen für ein erweitertes Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr gezählt worden. Die Brandenburger Initiativen hatten da noch nebenher das Begehren der Berliner Nachbarn unterstützt, für das es am Ende nicht ganz reichte.

Danach teilten sie das Flughafenumfeld in Brandenburg generalstabsmäßig unter sich auf: In den vier „Sondergebieten“ Potsdam, Ludwigsfelde, Königs Wusterhausen und Erkner bekamen die örtlichen „Fußtruppen“ massive Hilfe von auswärts, in Potsdam zum Beispiel aus Spandau, Lichterfelde, Stahnsdorf und zum Schluss auch aus Kleinmachnow.

Anders als in Kleinmachnow war das Volksbegehren gerade in der Landeshauptstadt zögerlich angelaufen. „Einige der Anwohner denken, dass sie durch ein Nachtflugverbot nachts gar nicht mehr fliegen dürften“, sagt Christine Laslo. Tatsächlich gehe es nur darum, dass zwischen 22 und 6 Uhr keine Flugzeuge starten und landen. Nach derzeitiger Planung würde am BER ein Nachtflugverbot nur von 0 bis 5 Uhr gelten. Doch allzu viel Überzeugungsarbeit müssen Laslo und ihre Stahnsdorfer Mitstreiterin Silvia Belling am Dienstag nicht mehr leisten, immerhin 189 Unterschriften sind allein an diesem Tag in Potsdam dazugekommen. Die meisten Bürger, die ins Gebäude wollen, wissen, worum es geht. „Und wir kennen mittlerweile die Rathausmitarbeiter und wissen, wen wir nicht zum dritten Mal ansprechen sollten“, sagt Laslo.

Als letzte Sonderaktion hatten die Initiativen am Wochenende die Wahlbüros der Rathäuser in Potsdam, Werder (Havel), Großbeeren und der Region Teltow übernommen. Die Idee ist neu: Nachtfluggegner ließen sich zu Wahlhelfern ausbilden und setzten bei den Kommunen Sonderöffnungszeiten durch. Überhaupt wurde es den Stimmberechtigten leicht gemacht: In Stahnsdorf und Kleinmachnow verteilten Freiwillige die Anforderungsformulare an alle Haushalte und holten sie ausgefüllt ab. Auch den Druck der etwa 10 000 Plakate und 100 000 Postkarten koordinierte zunächst die Kleinmachnower Initiative: „Die wurden dann zum Selbstkostenpreis an die Freiwilligen in anderen Kommunen verteilt“, sagt Michael Lippoldt vom „Kleinmachnow gegen Flugrouten e.V.“.

Der finanzielle Aufwand sei nicht zu groß gewesen, stärker ins Gewicht fielen die Stunden ehrenamtlicher Arbeit, so Lippoldt. Das Geld für den Druck sei gespendet worden. „Anders als die Werbeaktionen der Flughafen-Gesellschaft haben wir alles aus versteuerten Einkommen finanziert“, sagt Lippoldt. Dem Begehren war eine Volksinitiative vorausgegangen: 40 000 Brandenburger hatten bereits im vergangenen Jahr für das Nachtflugverbot unterschrieben. Doch als der Landtag am 16. Dezember 2011 das Thema erneut diskutierte und abstimmte, sprachen sich lediglich zehn Abgeordnete dafür aus. Auch das Volksbegehren wollen viele Landespolitiker nicht unterstützen: Ein Kritikpunkt der Grünen etwa ist der zweite Satz. Dort heißt es, der Luftverkehrsanschluss für Berlin und Brandenburg solle nicht auf den Ballungsraum Berlin – also den Standort Schönefeld – konzentriert werden. „Das würde bedeuten, dass andere Regionen verlärmt werden, damit käme eventuell wieder der frühere russische Militärflughafen in Sperenberg ins Gespräch“, sagte Michael Jungclaus, verkehrspolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion.

Die mangelnde Unterstützung der Landespolitiker hatte die Initiativen noch angespornt. Rückendeckung bekamen sie von den Bürgermeistern vieler Kommunen. Die Plakate etwa durften die Initiatoren fast überall kostenlos aufhängen. „Nur in Potsdam nicht, da hat man sich etwas schwer getan“, sagt Matthias Schubert, einer der Frontleute des Begehrens.

Deshalb steht Christine Laslo heute hier. Einige der rund 400 Helfer hätten ihren Urlaub investiert, sagt sie. Ihr Antrieb: Die Angst vor dem Krach, vor allem nachts. „Ich bin im Allgäu aufgewachsen – neben einem Militärflughafen.“ Nachts habe sie damals oft nicht schlafen können, heute vermeidet sie es zu fliegen. Für Geschäfts- und Urlaubsreisen steigt sie lieber in den Zug. „Das hat nicht nur mit dem Lärm zu tun, den die Flugzeuge verursachen, sondern mit der Umweltbelastung insgesamt.“ So weit gehen nicht alle.

In Kleinmachnow trifft man bei den Aktionen auch Menschen, die sagen: „Ich fliege gerne, dafür muss man eben auch die Begleiterscheinungen in Kauf nehmen.“ Ein paar davon – vor allem Alteingesessene – konnten zuletzt aber doch noch mobilisiert werden. Dazu wurde die Strategie geändert: Auf Anregung einiger Alt-Kleinmachnower, darunter der Karikaturist Harald Kretzschmar, appellierte einer der jüngsten Flyer an die „Solidarität mit den Schwerstbetroffenen“ in Blankenfelde. „Das hat gewirkt“, sagt Schubert.

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