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Potsdam-Mittelmark: Dilemma im Handwerk
Gesellentag in Caputh: Arbeit gibt es genug, doch sie wird schlecht bezahlt und der Nachwuchs fehlt
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Schwielowsee - „Viel Arbeit! Wenig Geld! Keine Leute!“ Das Motto des 17. Potsdamer Gesellentages umriss kernig das Dilemma, in dem sich das Handwerk des Landes Brandenburgs derzeit befindet. Aufträge gibt es genug, doch es wird schlecht gezahlt, was den Nachwuchs verschreckt. Die Potsdamer Handwerkskammer hatte deshalb am Samstag erneut Unternehmer und Politiker in das Märkische Gildehaus in Caputh eingeladen, um über die Zukunft des Handwerks zu beraten. Deutlich wurde, dass es gleich mehrere Ursachen für die komplizierte Situation gibt, Billiglohnstrukturen und Leiharbeiter sind dabei nur ein Teil des Problems.
Nach wie vor sind die Löhne in Ost und West unterschiedlich. So beträgt das Jahreseinkommen von Beschäftigten in Handwerksbetrieben im Westen durchschnittlich 33 000 Euro, im Osten sind es 23 000 Euro. Das Land Brandenburg könne zwar keine Mindestlöhne festsetzen, wie Wolfgang Schroeder, Staatssekretär im Arbeitsministerium, auf der Tagung klarstellte, aber im Bundesrat werde gerade eine Initiative vorbereitet, die am 1.März starten soll. „Ich bin guter Dinge, dass wir dann eine kräftige Anhebung hinbekommen werden“, meinte Schroeder. Anders sieht das Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerkes: „Eine gesetzliche Regelung für Mindestlöhne löst nicht das Problem“. Denn Mindestlöhne würden durch Ein-Mann-Unternehmen ausgehebelt. „Solche Strukturen hat die Politik jedoch gewollt, um in der Statistik besser dazustehen“, meinte Schwannecke.
Wie sich Mindestlöhne auf die Lebensqualität Betroffener auswirken, schilderte in der anschließenden Diskussion ein Gewerkschafter. Denn trotz Branchenmindestlohn im Baugewerbe würden viele Maurer nach Feierabend noch mit Eimer und Kelle nach Berlin fahren, um dort zu „malochen“, weil sie von ihren Löhnen nicht leben könnten. Das gilt auch für öffentliche Aufträge: In Brandenburg gingen viele Arbeiten am Vergabegesetz vorbei, das sich am Tarif orientiert. Viele Verträge seien jedoch vor dem Erlassen des Gesetzes abgeschlossen worden. Neuausschreibungen gab es noch nicht. Mit solchen Tricksereien würde auch eine Potsdamer Gebäudereinigerfirma ihre Mitarbeiter zum Putzen ins Sozialministerium schicken. Als deren Mitarbeiter vor Ort angesprochen wurden, bekamen sie per Telefon Order vom Firmenchef: „Mit der Gewerkschaft wird nicht gesprochen!“ Für Lacher sorgte auf der Tagung die nicht ganz ernst gemeinte Frage: „Wie verhält sich das nun eigentlich mit der Friseurin, die 8 Euro Mindestlohn kriegt? Wenn da Ministerpräsident Platzeck kommt, um sein Haupt verschönern zu lassen, ist das dann ein öffentlicher Auftrag und sie kriegt mehr?“
Die schlechte Bezahlung im Handwerk beginne bereits in der Ausbildung, berichtete der Bezirksvorsitzende der IG-Metall, Olivier Höbel. Schon dort betrage die Differenz rund 400 Euro. So erhalte ein Azubi außerhalb des Handwerks, zum Beispiel ein Kaufmann, im 1.Lehrjahr 819 Euro. Im Handwerk seien es nur 495 Euro, im letzten Ausbildungsjahr sind es 615 Euro. Auch daran würden sich junge Leute bei der Berufswahl orientieren und einige Azubis sogar vorzeitig die Lehre abbrechen, um ihren Beruf kurzerhand zu wechseln. „Die Abstimmung mit den Füßen ist auch Teil des Problems“, sagte Höbel.
Für gute Stimmung soll nun eine Imagekampagne werben, die das Handwerk als „Wirtschaftsmacht von nebenan“ propagiert. Ein dafür produzierter TV-Spot unterstreicht die Leistungen des Handwerks und preist dessen Verlässlichkeit in nahezu jeder Lebenssituation. „Wir sind Handwerker. Wir können das!“, lautet das stolze Selbstverständnis.
Damit die eigenen Ansprüche und die Realität zusammenpassen, gehöre zu dieser Kampagne auch der Tarifvertrag als Instrument, so der Tenor der Diskussion. Nur so lasse sich die Lücke schließen, die bereits zum Standortnachteil der Region geworden sei, wie Staatssekretär Schroeder feststellte. Bislang sind erst 25 Prozent der Brandenburger Handwerksbetriebe an einen Tarif gebunden. Vorgeschlagen wurde, die Obermeister der Innungen beim Thema Tarifverträge künftig mehr in die Pflicht zu nehmen. Denn gute Bezahlung sei die beste Nachwuchswerbung.
Kirsten Graulich
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