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Potsdam-Mittelmark: Ein Grundstück schaut zurück

Wiege des Loser-Motors, Tor zur Bismarckhöhe: Bei Peter Henke treffen sich Stränge der Stadtgeschichte

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Werder - Sie sind ein längst vergessenes Exportgut der Blütenstadt: Zwischen 1897 und 1910 wurden in Werder (Havel) Dieselmotoren produziert. Der Unternehmer Franz Loser baute die schweren Maschinen, die unter anderem in Landwirtschaft und Haushalt Verwendung fanden. Weitaus bekannter sind die beiden Altenkirchs – Gustav senior und junior, die mit ihrer Bismarckhöhe an den Wochenenden bis zu 5000 Gäste nach Werder lockten. Und dann gab es da noch die beliebte Bockwurst, die von der Fleischerei Elsholz zu DDR-Zeiten in Werder hergestellt wurde. All dies sind sehr unterschiedliche Stränge der Stadtgeschichte, die aber an einem Ort zusammenlaufen: Zu Hause bei Peter Henke.

Vor zehn Jahren kaufte der heute 47-Jährige das Grundstück in der Eisenbahnstraße 25, und das erwies sich bald als Geschichtstruhe, in der versteckte Anekdoten Werderscher Persönlichkeiten die Jahre überdauert hatten. Das Gelände war einst Sitz der Firma Loser, gehörte später zur Bismarckhöhe und war schließlich Fuhrbetrieb, Fleischerei und Warenlager in einem.

Als Henke das Areal übernahm, war es alles andere als ansehnlich: Die Gebäude waren in einem desolaten Zustand, der Hof zugerümpelt. Sieben große Lkw-Ladungen Schrott und 150 Kubikmeter Holz habe er abtransportieren müssen, darüber hinaus 220 Eisenbahnschwellen aus massiver Eiche. Vorbesitzer war eine Fuhrunternehmerin aus Werder, die noch bis in die 80er Jahre mit ihrem Pferdewagen in der Stadt unterwegs war: um Güter zu transportieren – und wohl auch um zu horten. „Zu DDR-Zeiten konnte man schließlich alles gebrauchen“, sagt Henke heute. Nur ein Trampelpfad führte zum Wasser, vorbei an provisorisch gezimmerten Schuppen und Ställen. Allein zehn Lagen Dachpappe auf dem Haupthaus hätten das morsche Gebälk zusammengehalten.

Zehn arbeitsreiche Jahre später kann der gelernte Fliesenleger stolz auf sein neues Domizil blicken. Stück für Stück hatte er mit Frau und Sohn die Altlasten abgetragen und das historische Ensemble restauriert – ohne Fördermittel. Und nebenbei hat Henke dabei die verschiedenen Episoden der Stadtgeschichte zutage gefördert: aus versteckten Winkeln des Grundstücks, aus dem Stadt- und dem Landeshauptarchiv sowie mittels unzähliger Postkarten aus der Blütenstadt.

Die Gewölbedecken im hinteren Bereich des Hauses erinnern an die frühere Nutzung: „Hier war die Schmiede der Firma Loser untergebracht“, weiß der Hausherr. 1896 hatte der gebürtige Rheinländer Franz Loser das Grundstück gekauft, nahm sogleich die Produktion der Dieselmotoren auf. „Das Geschäft lief ausgezeichnet – bis 1910 der Elektromotor entwickelt wurde.“ Im ersten Weltkrieg hatte die Firma dann kaum noch Aufträge, zudem musste Sohn Paul an die Front. Das Kleinunternehmen hielt sich mit der Wartung und dem Bau von Landmaschinen über Wasser. Nachdem Franz Loser 1923 gestorben war, konnte sein Sohn nur noch mit Hypotheken und Krediten weiterarbeiten. 1934 kam die Pleite.

Zwei der hier gebauten Motoren sind heute noch erhalten: Im Zweirad- und Technikmuseum in der Mielestraße bilden der „Kleine Loser“ und der „Große Loser“ den Publikumsschlager. Wenn nach dem anfänglichen lauten „Plopp“ das regelmäßige Gluckern einsetzt, ist dies Maschinenbauromantik pur. Der „Große Loser“ wurde 1903 gebaut, hatte mit zehn PS einst eine Dreschmaschine angetrieben und stand über viele Jahre eingemauert in einem Stall im Lehniner Ortsteil Rädel. Sein kleiner Bruder, Baujahr 1907, wurde erst vor einem Jahr in Derwitz entdeckt. Die vier PS starke Maschine hatte hier früher eine Wasserpumpe betrieben. Längst sind beide fachmännisch restauriert.

Erst über diese beiden Prunkstücke sei Henke auf die Frühgeschichte seines Grundstückes gestoßen. Doch mit dem Konkurs der Losers 1934 kehrte keine Ruhe in die Eisenbahnstraße 25 ein: Gustav Altenkirch junior kaufte das Areal und baute hier 1938 einen zweiten Dampferanleger in die Föhse – ein eigentümliches Konstrukt, wie Henke heute weiß: Man nahm einen 42 Meter langen Lastkahn aus Eisen, steckte ihn mit Pfählen fest und versah ihn mit einem Geländer. Zeitgenössische Postkarten zeigen zwei Stege in unmittelbarer Nachbarschaft, am Horizont die Bismarckhöhe und dazwischen blühende Bäume. So menschenleer wie auf den Karten dürfte es aber selten gewesen sein, „die Dampfer mussten auf dem Wasser Schlange stehen, um die Gäste hier abzuliefern. Deshalb war ein zweiter Steg erforderlich.“

Altenkirch wollte auf dem Grundstück außerdem ein Haus mit sechs Ferienwohnungen errichten, die Baupläne liegen im Stadtarchiv. Besonders makaber: Bereits zu diesem Zeitpunkt forderte die Baubehörde, dass mit dem Neubau ein Luftschutzkeller errichtet werden muss. „Doch hier unten war der Wasserstand für eine Unterkellerung viel zu hoch“, sagt Peter Henke. Nach langem Überlegen gab Altenkirch schließlich den großen Weinkeller seiner Bismarckhöhe als Schutzbunker an. Mit dem Zweiten Weltkrieg wurden jedoch die Baupläne aufgegeben. Den Steg requirierte man 1941 – der Kahn wurde für die Kriegsindustrie eingeschmolzen.

Die Bismarckhöhe erlebte den Rest des Krieges als Lazarett und war bis in die 60er Jahre von der Roten Armee besetzt. Das Grundstück zu ihren Füßen lag brach. Im Februar 1961 starb Gustav Altenkirch junior, und hier wird eine typisch-Werdersche Verbindung offensichtlich: An Altenkirchs Todestag erblickte nur ein paar Straßen weiter Peter Henke das Licht der Welt. Dies mag ein Grund für sein Interesse an der Höhengaststätte und ihrer Geschichte sein, vermutet er selbst. „Meine Kindheit verbrachte ich oft in der Nähe der Bismarckhöhe, Vater und Mutter hatten einen Obstacker nebenan gepachtet.“

Heute ist Henke aktives Mitglied im Freundeskreis Bismarckhöhe, sammelt Relikte wie Geschirr und Einrichtungsgegenständen, die einst zum Bestand der Altenkirchs gehört hatten. Seine Sammlung alter Werderaner Postkarten umfasst mittlerweile 1000 Exemplare, von denen manch eine bereits dunkle Flecken der Stadtgeschichte erhellen konnte: Bei Sanierungen fanden Bauherren hier Aufschluss über frühere Erscheinungsbilder ihrer Häuser, Lücken von Vereinschroniken konnten ebenfalls auf diesem Wege geschlossen werden. „Irgendwann gibt es mal eine Ausstellung“, verspricht er und setzt zur dritten Episode in der Geschichte der Eisenbahnstraße 25 an.

Die Nachfahren Altenkirchs kamen kurz nach dem Mauerbau noch einmal aus Berlin über die Grenze und verkauften schnell ihre Grundstücke. Der heutige Hof der Henkes wurde damals von besagter Fuhrunternehmerin erworben. Der vordere Bereich des Geländes wurde an die Fleischerei Elsholz vermietet, im hinteren Bereich hielt sie ihre Pferde, Schweine, Hühner und andere Tiere. 1995 hatte sie Henke das Grundstück angeboten, doch hier schalteten sich die Erben Altenkirchs noch einmal ein und stellten Rückübertragungsansprüche. Die wurden nicht anerkannt, immerhin hatten sie 1961 freiwillig verkauft.

„Viele Freunde hatten damals zu mir gesagt: Verkauf das bloß wieder!“ Henkes Blick wandert vom Wasser über sein Grundstück hoch zur Bismarckhöhe. Ein zufriedenes Lächeln liegt auf seinem Gesicht und er scheint froh zu sein, nicht auf diesen Rat gehört zu haben.

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