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Potsdam-Mittelmark: Ein unvergessenes Lächeln

Einmaliges Tanz-Projekt für Demenzkranke im Wilhelmshorster Seniorenzentrum St. Elisabeth

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Michendorf - „So blau, blau, blau blüht der Enzian“, schallt es aus den Lautsprechern. Die weißen Löckchen schwingen im Takt der Musik, die Augen strahlen, die Tanzfläche ist voll. „Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal getanzt habe“, sagt der fast 94-jährige Bernhard Haller leicht atemlos und lässt sich mit einem Gläschen Sekt in einem Stuhl nieder. „Das war herrlich“.

Haller ist Heimbeirat des Seniorenzentrums St. Elisabeth in Wilhelmshorst und trotz seines hohen Alters nicht nur flott im Tanz, sondern auch fit im Geist. Eine Ausnahme. Denn zu diesem Tanzcafé im Gemeinschaftsraum treffen sich die dementen Bewohner des Heims. „Demenz-Erkrankte leben in ihrer eigenen kleinen Welt“, sagt Krankenschwester Heike Kautz. „Die Musik ist oft ein Schlüssel – die Erkrankten öffnen sich etwas.“ Rund 1,2 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz, 30 000 von ihnen leben in Brandenburg.

Die Volkskrankheit breitet sich dramatisch aus. Das Sozialministerium rechnet im Jahr 2015 allein in Brandenburg mit 43 000 Erkrankten, in ganz Deutschland werden bis 2030 voraussichtlich zwei Millionen Menschen von der Krankheit betroffen sein. Kürzlich mahnte der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, mehr in die Erforschung von Demenz zu investieren. Auch die Versorgung der Kranken liege im Argen, sagt Angelika Winkler von der Alzheimer-Gesellschaft Brandenburg. „Oft wird die Krankheit gar nicht diagnostiziert, weil jeder denkt, ,Verwirrung im hohen Alter kommt halt vor““.

Im Gemeinschaftssaal von St. Elisabeth spielt die Krankheit beim Tanzen keine Rolle. Das Heim hat nach eigenen Angaben damit ein einmaliges Projekt gestartet. Der Tanzlehrer legt Hits von Heino und Rex Gildo auf. Auf der Tanzfläche wiegen sich Pflegerinnen mit ihren Patientinnen leicht im Takt. Manche Paare wirbeln ausgelassen übers Parkett, können sich an die alten Liedtexte erinnern und singen leise mit. Andere lassen sich aus dem Rollstuhl helfen und halten sich gegenseitig an den Händen, um wenigstens kurz auf der Tanzfläche gewesen zu sein. Wieder andere schaffen es nicht mehr aufzustehen und sehen lächelnd dem bunten Treiben zu.

„Nein, nein, mir wird nicht schlecht“, sagt eine weißhaarige Dame, die in ihrem Rollstuhl zur Musik kreisend von einer Pflegerin herumgefahren wird. Bei dieser Ausgelassenheit werde nach den Tanzveranstaltungen schon die ein oder andere vergessene Gehhilfe in der Ecke gefunden, erzählt Heimleiterin Britta Schmidt. Früher war auch Herr Haller ein ganz guter Tänzer, sagt er. Walzer und Märsche habe er besonders gemocht. Er ist froh, dass er nun, da er nach dem Tod seiner Frau ganz allein ist, in Pflegedienstleiterin Katrin Leschke wieder eine Tanzpartnerin gefunden hat. Und dass jemand da ist, falls er hinfällt. „Aber heute muss die Frau mich führen – die Zeiten haben sich geändert“, sagt der Rentner.

Besonders Menschen, die über 80 sind, sind von der unheilbaren Krankheit betroffen. Meist funktioniert das Langzeitgedächtnis noch gut, das Kurzzeitgedächtnis baut jedoch schnell ab. „Positive Emotionen sind für die Patienten besonders wichtig“, sagt Angelika Winkler von der Alzheimer-Gesellschaft. „Vielleicht haben sie in ein paar Stunden schon wieder vergessen, dass sie hier waren“, sagt Pflegedienstleiterin Katrin Leschke. „Aber dieser Moment der Freude, dieses Lächeln bleibt unvergessen.“ dpa/wh

Patricia Driese

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