Potsdam-Mittelmark: Einzelhaft ohne Tageslicht
In Werder sprachen einstige DDR-Häftlinge mit Schülern über ihre Erlebnisse
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Werder (Havel) - Es war ein schwer verdaulicher Happen DDR-Geschichte: Am Jahrestag des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 mussten viele Schüler des Werderaner Ernst-Haeckel- und des Michendorfer Wolkenberg-Gymnasiums erst einmal tief durchatmen. „Soviel davon will ich gar nicht hören“, sagte Nicole gestern nach der Veranstaltung im Werderaner Scala-Kino. Mit dem Oscar-prämierten Film „Das Leben der Anderen“ sollten die Schüler der zehnten und elften Klassen auf die nachfolgende Diskussion mit drei Zeitzeugen der DDR-Verfolgung eingestimmt werden.
Gelingen konnte das nicht, fand Mario Falcke, einer der drei Podiumsgäste. Denn die Geschichte, dargestellt vom verstorbenen Ulrich Mühe, hat letztendlich ein glückliches Ende. Für viele Verfolgte des DDR-Regimes gab es das nicht, erklärte Falcke. Noch heute hat er mit den gesundheitlichen Schäden seiner Gefangenschaft zu kämpfen. Fünf Monate verbrachte er in einer kleinen Stasi-Zelle, ohne Tageslicht auf einem Hocker sitzend. „Tag für Tag, Woche für Woche“, so erzählte der 45-jährige Magdeburger Friedensaktivist den Schülern: „ohne Mp3-Player, ohne Handy“. Einmal am Tag bekam er Essen und durfte auf Toilette, hielt man bis dahin nicht durch: Pech gehabt. Die DDR kümmerte sich kein Stück um das Wohl vermeintlicher oder wahrer Gegner des Systems. Falcke war insgesamt knapp dreieinhalb Jahre inhaftiert. Aus seinem Traum, Schauspieler zu werden, ist in der DDR nichts geworden. Heute ist er Werbekaufmann
Dieter Dombrowski, seit 1999 Landtagsabgeordnter der CDU, wurde zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er seine Mutter, die im Westen einen Herzinfarkt erlitten hatte, besuchen wollte. Auf der Flucht erwischte ihn die Polizei. Bis zu 28 Männer waren in den 40 Quadratmeter kleinen Zellen in Cottbus untergebracht, beschrieb der Politiker die Zustände im DDR-Knast. Fast das gesamte Leben spielte sich in ein und demselben Raum ab: essen, trinken, schlafen. Nur gearbeitet wurde woanders. Dombrowski entgratete Aluminiumgehäuse für Fotoapparaten für 17 DDR-Mark monatlich. Ein 62-jähriger Mithäftling, so erzählte Dombrowski, sei schon am ersten Tag in Gefangenschaft in der Zelle zusammengebrochen. Blut floss dem gerade inhaftierten Besitzer eines Privatbetriebes aus dem Mund, kurz zuvor waren er und seine gesamte Familie verhaftet und auf verschiedene Gefängnisse verteilt worden. Doch nachts kam niemand, um die Magenblutung des älteren Herren zu stoppen. Erst nachdem Dombrowski und andere Inhaftierte Gläser aus dem Fenster in den Innenhof warfen, regten sich die Wärter. Noch in der selben Nacht starb der Mithäftling. „Wenn sieben Männer zum Arzt gingen, alle mit unterschiedlichen Symptomen, kamen alle mit dem selben Medikament zurück“, erzählte Dombrowski. Man wurde behandelt, aber nicht gut. Es stecke viel Wahrheit in der Geschichte mit dem Hollywood-Erfolg, sagte auch Siegfried Reiprich, der heute die Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen leitet.
„Erschreckend, interessant und extrem“ fand Nicole vom Wolkenberg-Gymnasium die Erzählungen. Initiiert wurde die Veranstaltung von Saskia Funck. Eine Studie der Berliner FU hatte nicht zuletzt die CDU-Landtagsabgeordnete aufhorchen lassen: Nur rund die Hälfte der märkischen Schüler konnten den Tag des Mauerbaus datieren, seit gestern sind es einige mehr.
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