KulTOUR: Erschröckliche Wildnisse
Ausstellung im Caputher Schloss zeigt Lebenskultur zwischen 1450 und 1850
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Caputh - Im Seitenflügel des Caputher Schlosses gibt es derzeit viel zu lesen. Die Berlin-Potsdamer geschichts- und soziokulturelle Initiative „Haven-Volck e.V.“ versucht, mit einer extrem opulenten, 24-teiligen Tafel-Ausstellung zum Thema Lebenskultur zwischen 1450 und 1850 einen eigenen Beitrag zu den Festen rund um das 700-jährige Ortsjubiläum an Templiner und Schwielowsee zu leisten.
Ihr Titel „Mäßige Ergetzichkeiten und erschröckliche Wildnisse“ könnte Interessenten durchaus anziehen, wären diese nur bereit, sich durch einen wohlgeordneten und quasi wissenschaftlichen Tafel-Apparat hindurchzuarbeiten – wie der Grieß- oder Puddingfresser gen Schlaraffenland im Märchen. Möglich wäre es, auch wünschenswert, gleichwohl sich ein direkter Bezug zum Sozio-Naturalen draußen vor der Tür nicht unbedingt erschließt. Oder nur ganz allgemein, denn die hier vorgestellten Themen Hafen, Wald und Essen dürften zwischen 1450 und 1850 um Caputh keinen Bogen gemacht haben. Merkwürdigerweise bleiben genauere Datierungen oft ungewiss, wenn nicht Zitate der Dabeigewesenen es verbesserten. 400 Jahre sind doch auch 400 Jahre Veränderung! Dafür hat man sich reichlich „Futter“ aus dem Reich der angewandten Soziologie geholt, samt ihrer mehr als furztrockenen Sprache.
Nun, wer Alltagskultur meint, fängt nota bene mit so sinnlosen Fragen wie „Was sind Räume?“ oder „Wie definiert man Wald?“ an. Man erfährt also, dass so ein Hafen, in Kopenhagen zum Beispiel, ein „soziokultureller Raum“ sei, darin sich verlotterte Seeleute mit Dirnen und Branntwein vergnügten, indes auch Waren umgeschlagen werden und „Bürger“ auf Reisen gehen. Das Messer im Gürtel des Matrosen bezeugt natürlich die „alltägliche Gewalt maritimer Identität“. Sozio-Deutsch, wie überall bei dieser Sonderausstellung. Man will wissenschaftlich-kritisch sein, und dieser Kunst auch folgen. Hätten es eigene Worte nicht besser getan? So auch beim Thema „Wald“ in seiner Gliederung als „end- und orientierungsloser Ort“, darin allerlei tierische und gespenstische Erfahrungen lauern, Erschröckliches eben. Dann wird er als „positiv besetzter Naturraum“ beschrieben, und wie zwischen 1450 und 1850 irgendwann Sehnsucht nach „Wiederverzauberung“ zurückkehre. Auch als Nutzraum hatte man den Wald schon damals erkannt. Wer hätte das gedacht?
Eine Ausstellung also zwischen Soziologie und Leben, zwischen Kultur und Natur ganz nach dem Lehrbuch. Das trifft auch auf das dritte Thema zu, das Essen, dessen soziale und kulturelle Dimensionen etliche Tafeln aufblättern. Essen und Welt. Essen und Fühlen. Essen und soziale Hierarchien, da kann man vieles lernen. Auch, was die Dienerschaft eines bajuwarischen Gutes 1618 über die Woche dreimal täglich zu futtern bekamen: Viel Hirsebrei, viel Kraut, viel „Schnicz“, und „Sieße Milch“. Im 16. Jahrhundert, so liest man, hatten Eingeladene ihren Löffel zum Essen mitzubringen, später nicht mehr, da gab es dann „schon“ Tischdecken und Servietten. Ja, war denn die Jahrhunderte zuvor nur Jagen und Sammeln, und alle Leute der Vorzeit Barbaren?
So lernt man Zeile um Zeile, Bild um Bild, was die heutige Forschung über die gestrige Alltagskultur alles weiß. Dazu braucht man eine soziologische Legitimierung, „Kategorisierungen“, lange Zitate, einen lehrhaften Mitteilungsgestus und – einen langen Atem. Gut und nett, dümmer wird man davon nicht, nur: Wer soll denn das alles lesen? Gerold Paul
Bis Ende April an den Wochenenden und an Feiertagen, ab 1. Mai dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr. Laufzeit bis Mitte August
Gerold Paul
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