KulTOUR: Feigenbau macht Werder reich
„Die Poesie der Landstraße“ – Bilder und Texte von Marie Goslich
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Schwielowsee - Zuerst wusste kaum einer von ihr, dann konnte es gar nicht genug sein: der Name Marie Goslich (1859-1936) ist derzeit in so vieler Munde. Man hat einen biographisch dicken, wenn auch tendenzbelasteten Roman über sie geschrieben, es gab Ausstellungen, im vergangenen Jahr wurde sie sogar ins „Kulturland Brandenburg“ hineininvolviert und dergestalt mehr oder weniger deutschlandweit registriert. So also kennt man sie heute, als Frauenrechtlerin mit gutbürgerlicher Herkunft, aber besten Referenzen zum Kaiserhaus, als unangepasstes Gesellschaftswesen weiblicher Art, als emsige „Mal-Fotografin“ zuerst, deren kostbare Glasnegative in Lieselotte Herrmanns Besitz „Baumgartenbrück“ alle historischen Stürme überstanden: Mehr als vierhundert Platten, mehr als vierhundert Mal „märkische Kulturgeschichte“. Hochbetagt, wurde Marie Goslich im Jahr 1936 von den Nazis ob einer vermeintlich geistigen Verwirrung um ihr Leben gebracht.
Die Glasnegativarbeiten sind inzwischen mehrmals ausgestellt worden. Weniger bekannt ist ihre journalistisch-feuilletonistische Seite. Vielleicht hat die Herausgeberin Krystyna Kauffmann (Caputh) recht, wenn sie den Bild-Text-Band „Die Poesie der Landstraße“ als „editorischen Schnellschuss“ bezeichnet, er ist tatsächlich sehr bildlastig geraten. Macht aber nichts, Goslichs Texte, zwischen 1903 und 1914 in verschiedenen Zeitschriften der Region veröffentlicht, lohnen noch heute manche Auseinandersetzung. Die Frage, wie viel ein Hauswirt für die Körperkultur seiner Mieter tun müsse, sei gleich hintangestellt, in den vollhygienischen Zeiten von heute entbehrt sie natürlich jeder Brisanz. Ähnlich ist es mit den „Tippels“ der Landstraßen, den Hausierern, Scherenschleifern, all den „Gestalten, für die der niedrigste Eisenbahntarif immer noch zu hoch ist“. Ihnen schreibt die gebürtige Oder-Frankfurterin zwar Romantik und Freiheitssinn zu, die dazugehörenden Fotos aber bestätigen solche Verklärung nicht oft, mögen sie mit noch so viel Kunstsinn aufgenommen sein.
Übrigens hält es die Herausgeberin für möglich, dass sich Marie Goslich und die Leute der damaligen „Havelländischen Malerkolonie“ gekannt und gegenseitig beeinflusst haben könnten.
Erstaunt liest man dann vom „Kampf um die Erhaltung unserer Seen“, erfährt, wie hoch sie „Die Grazie“ schätzte: „Nichts gilt Frauenschönheit ohne Anmut, nichts rohe Kraftleistung des Mannes ohne Schönheit der Bewegungen. Tanz, Turnen, Sport sei eine Schule zur Grazie für Mann und Weib". Sie schreibt über die „Frau auf dem Lande“, vom Eislauf, von Heimatschutz und Bodenreform – nicht die nach dem Zweiten Krieg, sondern die Groß-Kurfürstliche von 1667 – lässt aber zugleich nicht aus, was den Werderaner Geschäftssinn auch heute beleben sollte: „Seit mehr als fünfzig Jahren schon gibt es in der dortigen Gegend Feigenbäume", berichtet sie 1906 der „Deutschen Landwirtschaftlichen Presse“. Wie das gewinnbringend geht, wird manchen „Obstmucker“ interessieren.
Eine lohnenswerte Publikation zur märkischen Kulturgeschichte also, ausbaufähig, leicht rezipierbar, wenn es etwa um die Frage geht, wie viele „moderne vielstöckige Steinklötze“ Friedrichs barocke Innenstadt 1914 verträgt, ohne das empfindsam-romantische Auge des Potsdam-Touristen zu stören. Spätestens hier ist Marie Goslich in der Gegenwart angekommen.
Die Poesie der Landstraße. Marie Goslich (1859-1936), herausgegeben von Krystyna Kauffmann, Lukas Verlag Berlin
Gerold Paul
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